Commerzbank Analysen

Trotz Gegenwind: Rekordjagd an der Wall Street

Die Kurse an der New York Stock Exchange streben unbeirrt nach oben. Allerdings trübt sich das Umfeld immer mehr ein. Nicht nur, dass die Bewertungen inzwischen hohe Niveaus erreicht haben, auch fährt die Fed einen immer restriktiveren geldpolitischen Kurs und die wichtige Steuerreform von US-Präsident Donald Trump droht zu scheitern.

Hurrikans, Säbelrasseln in Nordkorea, drohende Zahlungsunfähigkeit und nun auch noch eine Zeitenwende in der Geldpolitik: Angesichts dieser Nachrichtenlage würde es nicht wundern, wenn die Wall Street in Deckung gehen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der S&P 500 springt von einem Gipfel zum nächsten.

Allein in diesem Jahr summiert sich das Plus beim amerikanischen Leitbarometer auf mehr als 11 Prozent. Damit lässt der S&P 500 seinen europäischen Pendants keine Chance.

Ein Blick in den Rückspiegel zeigt zudem, dass die Kurse in Übersee bereits seit längerem ein höheres Tempo als der Rest der Welt eingeschlagen haben. Seit 2008 schnitt der S&P 500 jedes Jahr besser als der MSCI World ab (siehe Grafik 1).

Grafik 1: S&P 500 versus MSCI World-Index

Die Fed betritt Neuland
Das wohl wichtigste Ereignis der vergangenen Wochen war die Sitzung der US-Notenbank. Fed-Chefin Janet Yellen versuchte schon länger, die Marktteilnehmer auf die nun vollzogene Kursänderung einzustimmen. Als erste Notenbank beendet die Fed nämlich das grösste geldpolitische Experiment der jüngeren Geschichte. Ab Oktober wird sie damit starten, ihre mit Wertpapierkäufen auf 4,5 Billionen US-Dollar aufgeblähte Bilanz zu verkleinern. Diese hohe Summe hat sich in den zurückliegenden Krisenjahren zur Stabilisierung der Konjunktur angesammelt. Das Portfolio wird zunächst um 10 Milliarden US-Dollar pro Monat reduziert und der Reduzierungsbetrag wird dann vierteljährlich bis auf 50 Milliarden US-Dollar ansteigen.

Das war aber nicht die einzige Botschaft, welche Yellen an die Märkte sandte. Da nahezu Vollbeschäftigung herrscht, muss die Notenbank auch andere Gefahren im Auge behalten. »Wir werden nicht zulassen, dass die Wirtschaft überhitzt«, sagte die 71-Jährige. Im Umkehrschluss bedeutet dies weitere Zinserhöhungen. Fürs Erste bleibt der Leitzins zwar unverändert in der Bandbreite zwischen 1,00 und 1,25 Prozent. Allerdings hält die Währungshüterin an ihrem ursprünglichen Plan fest, welcher eine Zinsserhöhung noch in diesem und drei im kommenden Jahr vorsieht. Aktuell preisen die Fed Fund-Futures eine 72-prozentige Wahrscheinlichkeit für einen derartigen Schritt im Dezember ein, vor der Rede waren es nur 46 Prozent. Bereits zwei Mal hatte Yellen in diesem Jahr am Zins Hand angelegt.

Günstiger US-Dollar, hohes Wachstum
Während das Notenbank-Event auf die Aktienkurse kaum Auswirkungen hatte, kam es am Devisenmarkt kurzfristig zu etwas mehr Bewegung. Nach der Entscheidung ging der Euro gegenüber dem Greenback in die Knie. Im Bereich von 1,18/1,19 US-Dollar stabilisierte sich das Währungspaar dann. Dies könnte unter anderem mit der Europäischen Zentralbank zusammenhängen. Auf der ebenfalls mit Spannung erwarteten EZB-Sitzung am 26. Oktober wird Mario Draghi dann seinen Plan für die Zukunft präsentieren. Das Wort »Zinswende« machte auch in hiesigen Breitengraden zuletzt immer häufiger die Runde.

Der trotz des aktuellen Rücksetzers immer noch günstige US-Dollar kommt den Unternehmen in den USA entgegen, denn ein schwacher Greenback macht die Waren im Ausland günstiger und befeuert somit die Nachfrage. Um das Land noch attraktiver zu machen, plant US-Präsident Donald Trump derzeit eine radikale Steuerreform, welche vorsieht, die Unternehmensabgaben von 35 auf 20 Prozent zu senken. Dies soll Amerika wettbewerbsfähiger machen, Arbeitsplätze schaffen und letztendlich das Wirtschaftswachstum nach oben schnellen lassen. »Wir werden mit jedem Land der Welt mithalten können, dann kann uns keiner mehr was«, lautet die Parole des US-Präsidenten.

Innerpolitische Diskrepanzen
Allerdings droht eines der wichtigsten Projekte Trumps zu scheitern. Nicht nur die Demokraten, auch die Republikaner selbst haben Bedenken, dass die Reform den Haushalt aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Die Washingtoner Denkfabrik Tax Policy Center kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass Trumps Entwurf Amerikas Schulden um »mehrere Billionen US-Dollar« anwachsen lässt. Und das, wo gerade ein sogenannter »government shutdown« bevorsteht. Aufgrund der Hurrikans wurden die Verhandlungen über die Schuldenobergrenze zwar von September auf den Dezember hinauszögert, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sollten sich die Parteien nicht einigen können, droht ein Zahlungsausfall. Dies wiederum würde die Kreditwürdigkeit der weltgrössten Volkswirtschaft gefährden und letztendlich der US-Wirtschaft schaden. Investoren, die zuletzt auf steigende Kurse an den Börsen gesetzt haben, könnten dann ihre Aktien schnell wieder verkaufen.

Mit Blick auf die aktuelle Bewertung der Märkte bewegen sich die Kurse ohnehin bereits auf dünnem Eis. Der S&P 500 weist derzeit ein KGV von 17,7 auf, was 3,60 Punkte über dem 10-Jahres-Durchschnitt liegt. Eine ebenso grosse Diskrepanz zeigt sich beim Buchwert. Das KBV beträgt knapp 3, das langjährige Mittel weist dagegen einen Wert von »nur« 2,25 auf. Noch weitaus teurer präsentiert sich der Nasdaq. Das KGV des Technologieindex liegt sogar 4,20 Prozentpunkte über dem langjährigen Durchschnitt. Bei der Dividendenrendite verhält es sich dagegen andersherum. Mit aktuell 2,07 Prozent weisen die Ausschüttungen der 500 grössten börsennotierten Unternehmen im historischen Kontext eine klar unterdurchschnittliche Verzinsung auf (siehe Grafiken 2 und 3).

Grafik 2: S&P 500 – Kurs-Gewinn-Verhältnis (forward, 12-month)
Grafik 3: S&P 500 – Dividendenrendite (forward, 12-month)