Interview

Schweizer Fintechs müssen sich überhaupt nicht verstecken

ideas: Herr König, das Wort »Fintech« taucht mittlerweile fast inflationär in den Medien auf. Wie sieht Ihre Definition für diesen Begriff aus?
Christian König: Einfach ausgedrückt handelt es sich dabei um die Digitalisierung der Finanz- und Versicherungsbranche. Lange Zeit war es in diesem Sektor völlig normal, potenzielle oder bestehende Kunden telefonisch oder über den persönlichen Kontakt anzusprechen. Heute entsteht die Verbindung immer häufiger über digitale Kanäle – egal ob soziale Medien, Internetplattformen oder mobile Apps. Neben dem technologischen Wandel verbirgt sich hinter dem Begriff Fintech allerdings auch eine grundlegende Veränderung in der Denkweise. Es geht darum, Finanzdienstleistungen einfacher und vor allem auch günstiger anzubieten. Ganz zu schweigen vom Thema der Transparenz: Die Vielfalt an innovativen Lösungen und der damit einhergehende Wettbewerbsdruck zwingt Banken und Versicherungen mehr oder minder dazu, sowohl die mit einem Angebot einhergehenden Prozesse als auch deren Kosten verstärkt offenzulegen.

In diesem Zusammenhang ist häufig auch von den disruptiven Kräften der Fintechwelle die Rede. Wird die Digitalisierung den Sektor auf den Kopf stellen?
Hier muss man eindeutig unterscheiden: Auf der einen Seite gibt es viele innovative Start-ups. Sie bringen zwar grossartige Geschäftsideen mit, allerdings mangelt es ihnen häufig an Kapital und Kunden. Insofern tun sich solche Unternehmen sehr schwer damit, eine wirklich disruptive Entwicklung auszulösen. Dagegen können grosse Konzerne durchaus für nachhaltige Veränderungen sorgen, sobald sie den Finanzsektor für sich entdecken. Denken Sie beispielsweise an Technologiegiganten wie Alibaba, Facebook, Google oder Apple. Sie verfügen über riesige Kundennetzwerke und enorme finanzielle Möglichkeiten. Unter anderem im Segment Mobile Payment stellen diese Unternehmen eine echte Konkurrenz – um nicht zu sagen Bedrohung – für die etablierten Dienstleister dar. Allein Alipay, das Online- und Mobil-Zahlungssystem des chinesischen E-Commerce-Konzerns Alibaba, zählt nach eigenen Angaben 520 Millionen Nutzer. 

Wie kann es einem Start-up dennoch gelingen, seinen Platz am Markt zu finden?
Eine Lösung ist die Zusammenarbeit auf der B2B-Ebene. Hier lieferte Contovista ein schönes Beispiel. Das 2013 gegründete Schweizer Unternehmen entwickelt Technologien und Algorithmen, mit denen sich umfassende Finanzdaten auswerten und visualisieren lassen. Diese Tools kommen sowohl im privaten Finanzmanagement als auch in der Wirtschaft zum Einsatz. Salonfähig wurde das Tool allerdings erst, nachdem Contovista Kooperationen mit mehreren Kantonalbanken abschliessen konnte. Sinn ergibt die Zusammenarbeit auch zwischen den Fintech-Unternehmen selbst. In der Schweiz haben 2016 die Mobile-Payment-Anbieter Twint und Paymit fusioniert. Auf diese Weise kamen grosse heimische Banken mit der Schweizer Börse SIX zusammen. Mittlerweile zählt Twint mehr als eine halbe Million Nutzer und kann damit den Rivalen aus dem Ausland die Stirn bieten. 

Die Mehrheit der Schweizer möchte aber nach wie vor bar oder mittels Kreditkarte bezahlen...
Das stimmt. Die Fintech-Dienstleister sehen sich generell mit einer starken Trägheit ihrer potenziellen Nutzer konfrontiert. Darum müssen sie ein Hauptaugenmerk darauf legen, die Menschen von der technologischen Sicherheit sowie der Stabilität ihrer Angebote zu überzeugen. Ein weiteres stichhaltiges Argument sind die Kostenvorteile. Nehmen wir den Bereich Devisentransfer: Allein Vietnamesen, die im Ausland arbeiten und leben, überweisen jährlich 15 Milliarden US-Dollar in ihre Heimat. Dabei nutzen sie eine veraltete Infrastruktur. Studien zeigen, dass durch die bei den Überweisungen anfallenden, mitunter hohen Gebühren Wirtschaftsleistung in signifikantem Umfang verloren geht. Dabei lässt sich der Transfer von Geld aus technologischer Sicht einfach, sicher und kostengünstig tätigen, beispielsweise über die Mobilnummer. Solche Lösungen haben ein enormes Potenzial – sowohl in den Industrienationen als auch den Emerging Markets. 

Zuletzt machte die Fintech-Industrie mit einem heftigen Auf und Ab beim Bitcoin Schlagzeilen. Droht dem Sektor durch den Absturz der Kryptowährung nicht ein enormer Vertrauensverlust?
Schon vor der jüngsten Entwicklung liess sich ein gewisser Hype beobachten. Als wir Fintechnnews.ch 2015 gestartet haben, war es gar nicht so einfach, die Plattform mit Nachrichten und Themen zu füllen. Heute liegt ein Augenmerk darauf, die wichtigen von den weniger relevanten Informationen zu unterscheiden. Gleichzeitig hat das Interesse der Medien an diesem Thema und unserer Arbeit enorm zugenommen. Natürlich kommt der Hype vor allem auf dem Gebiet der Blockchain zum Ausdruck. Das zeigt sich nicht nur im jüngsten Verlauf beim Bitcoin. Auch das Finanzierungsmodell ICO treibt seltsame Blüten. Für mich tun sich hier durchaus Parallelen zur Dotcom-Blase aus der Zeit der Jahrtausendwende auf. So wie eine Reihe von Unternehmen den damaligen Crash überlebt hat, halte ich auch die Zukunft der Blockchain für unstrittig. Allerdings ist noch völlig offen, wie diese aussehen wird respektive welche Haltung die Regulierungsbehörden einnehmen werden. 

In welche Richtung könnte es gehen?
Was Fintech im Allgemeinen betrifft, rechne ich nicht damit, dass wir so etwas wie eine Revolution des Finanzsektors erleben werden. Vielmehr dürften weiterhin viele Start-ups von etablierten Unternehmen aufgekauft und integriert werden. Vor allem die traditionellen Geldhäuser und Versicherungen werden diesen Weg gehen. Über kurz oder lang dürften sich auf diese Weise immer mehr digitale Banken, also Geldhäuser, die nur noch auf dem Handy existieren, etablieren. 

Welche Rolle wird dabei die Schweiz spielen?
Natürlich werden ausländische Anbieter versuchen, möglichst grosse Marktanteile zu gewinnen. Allerdings ist das in der Schweiz aufgrund des regulatorischen Umfelds alles andere als einfach. Die Schweiz sollte ihr Heil nicht als Standort für Kryptowährungen suchen, sondern vielmehr ihre ureigenen Stärken ausspielen. Diese liegen meiner Ansicht nach vor allem im Wealth Management. Ausserdem geniesst die heimische Bankenwirtschaft weit über die Landesgrenzen hinaus ein enormes Vertrauen. Noch ist es leider so, dass sich die Schweizer Fintechs zu sehr verstecken. 

Woran machen Sie das fest?
Nehmen wir den Markt für strukturierte Produkte. Seit Jahren bieten Schweizer Emittenten digitale Lösungen für massgeschneiderte Anlagelösungen an. Dabei handelt es sich um eine klassische Fintech-Innovation. Dieser Umstand taucht jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung so nicht auf. 

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Stocker.