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Fintech: Digitalisierung hievt Bankenwelt in ein neues Zeitalter

Blockchain, Online Wealth Management, Mobile Payment, Insurtech – hinter dem Schlagwort Fintech verbirgt sich ein immenses Spektrum an technologischen Umbrüchen. Unzählige Start-ups bescheren dem Banken- und Versicherungssektor mit ihren digitalen Innovationen völlig neue Möglichkeiten. Wenig überraschend stösst die Fintech-Welle auch bei Investoren auf reges Interesse.

Vor zehn Jahren war es völlig normal, für den gemütlichen Filmabend daheim eine DVD zu kaufen oder auszuleihen. Heute ist die silberne Scheibe mehr oder minder obsolet – über internetfähige TV-Geräte lassen sich bequem und einfach unzählige Blockbuster und Serien streamen. Genauso wenig muss der Konsument das Haus verlassen, um Kleidung, Lebensmittel oder auch Möbel zu erstehen. Die Produktpalette der E-Commerce-Plattformen, allen voran Branchenkrösus Amazon, lässt kaum mehr Wünsche übrig. Nur noch eine Frage der Zeit ist es, bis der Pkw-Fahrer die Hände vom Lenkrad lassen kann. In wenigen Jahren möchte die Autoindustrie beim autonomen Fahren die Serienreife erreichen. Medien, Detailhandel und Industrie sind nur drei Beispiele für Sektoren, in denen die Digitalisierung für enorme Umbrüche sorgt.

Auch vor der Banken- und Versicherungsbranche macht die skizzierte Entwicklung nicht Halt. Als ein Oberbegriff für die laufenden Innovationen in diesem Wirtschaftszweig gilt »Financial Technology«, kurz Fintech. Nach Ansicht von Christian König, Gründer und Chef der Informationsplattform Fintechnews.ch, verbirgt sich hinter diesem Anglizismus weit mehr als die Digitalisierung der Finanz- und Versicherungsbranche. »Fintech steht auch für eine grundlegende Veränderung in der Denkweise«, erklärt er im Interview ab Seite 12. Im Kern geht es seiner Ansicht nach darum, Finanzdienstleistungen einfacher und günstiger anzubieten.

Blockchain: Datenbank der besonderen Art
Als die wichtigsten Segmente des Fintech-Spektrums bezeichnet König Online Wealth Management, Mobile Payment, Insurtech und Blockchain. In der öffentlichen Wahrnehmung taucht vor allem der letztgenannte Bereich auf. Bei der Blockchain handelt es sich um eine dezentral angelegte Datenbank, auf der Geld, Finanzanlagen sowie Besitz- oder Grundrechte verwaltet werden können. Das Innovative an dieser Technologie ist, dass es keine zentrale Verwahrstelle gibt, welche alle Informationen besitzt oder kontrolliert. Vielmehr werden die Daten einer Blockchain auf den Servern sämtlicher Teilnehmer gespeichert. Dadurch lassen sich Korruption und Manipulation erschweren. Die Blockchain setzt sich aus einer sequenziellen Kette von Blöcken, welche die Transaktionsdaten enthalten, zusammen. Indem jeder Block mit einem sogenannten Hash versehen ist, kann er eindeutig zugeordnet werden. Neue Blöcke werden jeweils an den vorhergehenden angehängt. Bei jeder Transaktion gilt das Konsens-Prinzip. Das heisst, der Block wird nur in das digitale Register eingetragen, wenn sich die Parteien darüber einig sind.

Zwar gehen die Einsatzmöglichkeiten der Blockchain-Technologie weit über den Finanzsektor hinaus. Für Aufsehen sorgt sie bis dato jedoch vor allem als technische Basis des Bitcoins. Das Konzept für die bekannteste Kryptowährung wurde bereits 2008 veröffentlicht. Eine bis heute unbekannte Person oder Gruppe skizzierte unter dem Pseudonym »Satoshi Nakamoto« das Konzept für eine dezentrale Währung, auf die Banken und Staaten keinen Zugriff haben sollten. »Benötigt wird ein elektronisches Zahlungssystem, das auf einem kryptografischen Beweis anstelle von Vertrauen basiert und es zwei Parteien erlaubt, direkt und ohne eine Drittpartei, der sie vertrauen, miteinander zu handeln«, bringt Nakamoto das Konzept auf den Punkt.

Bitcoin: Kryptowährung sorgt für Aufsehen
Während es um den Bitcoin lange relativ ruhig blieb, hob er im vergangenen Jahr regelrecht ab. Als der Kurs am 18. Dezember 2017 den Spitzenwert von knapp 19.500 US-Dollar erreichte, hatte sich der Wert der bekanntesten Kryptowährung innerhalb von drei Wochen verdoppelt. Wenig später folgte die Ernüchterung: Anfang Februar 2018 tauchte der Bitcoin zwischenzeitlich auf weniger als 6.000 Dollar ab (siehe Grafik 1). Möglicherweise hängt die Korrektur damit zusammen, dass in den vergangenen Wochen und Monaten die Rufe nach einer Regulierung lauter geworden sind. Unter anderem meldete sich die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zu Wort. »Was vielleicht ursprünglich als alternatives Zahlungssystem ohne staatliche Beteiligung gedacht war, ist inzwischen zu einer Mischung aus Finanzblase, Schneeballsystem und Umweltkatastrophe geworden«, sagte Agustín Carstens, Generaldirektor der Dachorganisation der Notenbanken in Bezug auf die jüngsten Turbulenzen und den enormen Strombedarf beim Schürfen des digitalen Geldes. Nach Ansicht von Christian König ist völlig offen, welche Haltung die Regulierungsbehörden letzten Endes einnehmen werden. Gleichwohl hält der Fintech-Experte die Zukunft der Blockchain für unstrittig.

Gleiches gilt für den Bereich Online Wealth Management. In diesem Segment sind unter anderem die Robo-Advisoren angesiedelt. Solche digitalen Plattformen bieten eine automatisierte, auf Algorithmen basierende Anlageberatung. In Abhängigkeit von Vermögen, Risikoneigung und zeitlichem Horizont kann sich der Nutzer ein individuelles Portfolio zusammensetzen lassen. Um die Kosten niedrig zu halten, setzen die Robo-Advisoren ihre Strategien häufig über Exchange Traded Funds (ETFs) um. Neu ist diese Idee nicht: Betterment, der nach eigenen Angaben grösste unabhängige Online-Finanzberater wurde bereits 2008 gegründet. Zwei Jahre später nahm die Plattform ihren Betrieb auf. Heute taxiert das in New York ansässige Unternehmen seine Assets under Management (AuM) auf 10 Milliarden US-Dollar. Neben rund 270.000 Direktkunden nutzen mehr als 400 Beratungsunternehmen den Robo-Advisor.

Grafik 1: Wertentwicklung Bitcoin

Mobile Payment: Twint bietet den Rivalen die Stirn
Deutlich kleinere Brötchen backt TrueWealth. Immerhin konnte die 2014 gestartete digitale Vermögensverwaltung ihre AuM im vergangenen Jahr auf 100 Millionen Schweizer Franken verdoppeln. Ähnlich wie beim US-Branchenkösus zählt der Mix aus direkter Kundenanbindung und Kooperationen mit Finanzdienstleistern auch zur Strategie des Zürcher Unternehmens. Laut Christian König ist die Zusammenarbeit für Fintech-Start-ups eine gute Möglichkeit, den Markteintritt zu schaffen und gegen die Platzhirsche anzukommen. Er verweist auf die jüngste Entwicklung im Schweizer Markt für Mobile Payment. Hier haben die Anbieter Paymit und Twint 2014 fusioniert. »Mittlerweile zählt Twint mehr als eine halbe Million Nutzer und kann damit den Rivalen aus dem Ausland wie Apple Pay die Stirn bieten«, erklärt König.

Während Twint bereits als etabliertes Unternehmen gilt, ist TrueWealth ein Start-up. Diese Einordnung basiert auf der »Swiss Fintech Start-up Map«. Mit dieser Publikation gewährt die Swisscom einen interessanten Einblick in die heimische Gründerszene und zeigt, in welchem Segment die jungen Unternehmen aktiv sind. Im Februar 2018 gab der Bereich »Investing und Asset Management« den Ton an. Besonders viele Start-ups widmeten sich darüber hinaus dem Crowdfunding (siehe Grafik 2). Neben alternativen Finanzierungsformen handelt es sich dabei um virtuelle Handelsplätze.

Grafik 2: Schweizer Fintech-Start-ups nach Segmenten

Venture-Capital: Finanzierungsvolumen erreicht Rekord
Nicht nur in der Schweiz, weltweit haben institutionelle Investoren das Thema Fintech für sich entdeckt. Vor allem Risikokapitalgeber engagieren sich verstärkt in diesem Bereich. Laut Zahlen von CB Insights war 2017 ein Rekordjahr, was die Venture-Capital-(VC)-basierte Finanzierung von Fintech-Gesellschaften anbelangt. Weltweit wurden mehr als 1.100 Transaktionen in einem Volumen von insgesamt 16,6 Milliarden US-Dollar abgewickelt – ein Fünftel mehr als im Vorjahr (siehe Grafik 3). Wenig überraschend werden die meisten Finanzierungsrunden in Nordamerika und Asien abgeschlossen. Allerdings tut sich auch auf dem alten Kontinent einiges. Dem Datenspezialisten zufolge hat sich das Transaktionsvolumen in Europa 2017 mit knapp 2,7 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt.

Mit einem eigenen VC-Fonds engagiert sich die Commerzbank im Fintech-Universum. Zum Portfolio von CommerzVentures zählt beispielsweise eToro. Das weltgrösste Netzwerk für Social Trading zählt mehr als sechs Millionen registrierte Nutzer. Am Banking der Zukunft arbeitet die Commerzbank darüber hinaus mit dem main incubator. 2014 wurde der erste Fintech-Inkubator einer Grossbank in Kontinentaleuropa gegründet. Die hundertprozentige Commerzbank-Tochtergesellschaft geht strategische Investments ein, entwickelt aber im sogenannten Company Building auch eigene, zum veränderten Nutzungsverhalten der Bankkunden passende Ideen.

Grafik 3: Globale Fintech-Wagniskapital-Finanzierungen

Fintech-Index: Performance kann sich sehen lassen
Häufig führt der Weg eines Fintech-Start-ups über den VC-Geber direkt an die Börse. Neben den Newcomern sind zahlreiche etablierte Unternehmen kotiert, die von der Digitalisierung im Banken- und Versicherungssektor profitieren. Im August 2016 hat der Indexdienstleister Solactive eine Benchmark für den Sektor lanciert. Für die Aufnahme in den Solactive Fintech Index kommen Gesellschaften in Frage, welche über einzigartiges Know-how auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen verfügen oder den Sektor mit technologischen Fähigkeiten voranbringen. Momentan werden die in der Methodik fixierten Kriterien von 33 Unternehmen erfüllt. Die Performance kann sich sehen lassen: Auf Sicht von fünf Jahren legte die Fintech-Benchmark um mehr als 160 Prozent zu (siehe Grafik 4).

Zu dieser positiven Entwicklung trug auch Temenos bei. Der Genfer Spezialist für Bankensoftware schreibt eine imposante Wachstumsstory. Im Zeitraum 2014 bis 2017 steigerte das Unternehmen die Umsätze pro Jahr um durchschnittlich 12 Prozent. Beim Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) betrug die gemittelte Wachstumsrate überproportionale 19 Prozent. CEO David Arnott ist davon überzeugt, dass der Konzern die Wachstumsspur hält. Mittelfristig peilt er beim Umsatz eine durchschnittliche Steigerung von 10 bis 15 Prozent an. Gleichzeitig soll die EBIT-Marge Jahr für Jahr um 100 bis 150 Basispunkte verbessert werden. Schon jetzt kann sich die Profitabilität sehen lassen: 2017 lag die EBIT-Marge bei 30,3 Prozent. »Unsere Kunden suchen nach einem Softwarepartner, der ihnen hilft, den aus Digitalisierung, Regulierung und der neuen Welt des Open Banking resultierenden Druck zu verstehen und anzugehen«, erklärt David Arnott – besser kann man die aus der Fintech-Welle resultierenden Chancen kaum auf den Punkt bringen.

Grafik 4: Wertentwicklung Solactive Fintech Index