Commerzbank Analysen

Europa: Fragwürdige Hilfe von geldpolitischer Seite

Eine Kehrtwende in Sachen Zinsen legte EZB-Chef Mario Draghi jüngst auf das Parkett. Zu unsicher erscheint dem Währungshüter die konjunkturelle Lage. Die Freude über das mittlerweile schon chronisch billige Geld hält sich am Aktienmarkt aber bislang in Grenzen. Zu ungewiss erscheint die Situation, zu ambitioniert die Bewertung des EURO STOXX 50.

Ja, ist denn schon wieder Krise? Diese Frage dürften sich viele Anleger gestellt haben, nachdem die Europäische Zentralbank auf ihrer Sitzung Anfang März plötzlich den Geldhahn wieder aufdrehte und die eigentlich für dieses Jahr geplante Leitzinswende absagte. Damit steht fest: Die erste Erhöhung seit 2011 wird nicht mehr in Mario Draghis Amtszeit fallen. Dieser scheidet turnusgemäss nach acht Jahren im Amt Ende Oktober aus.

Aber nicht nur die Zinsen bleiben auf der Nulllinie, die EZB öffnet auch die geldpolitischen Schleusen wieder etwas mehr. Geplant ist eine Neuauflage von günstigen Langfristkrediten für die Geschäftsbanken. Allem Anschein nach rechnet die EZB mit einer spürbaren Abkühlung der Wirtschaft. Und für den Fall, dass es noch schlimmer kommt und die Eurozone in den kommenden Monaten in eine Rezession abrutscht, baut Draghi schon mal vor. »Wir sind nicht knapp an Instrumenten, um unser Mandat zu erfüllen«, sagte der oberste Währungshüter Ende März auf einer Notenbank-Konferenz in Frankfurt. Hauptziel ist eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent.

Konjunkturängste belasten Kurse
An der Börse werden die Signale mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Auf der einen Seite sind anhaltend niedrige Zinsen gut für Aktien, andererseits nimmt die Angst vor einem Konjunktureinbruch zu. Folglich fuhr der EURO STOXX 50 im März Achterbahn. Zuerst kletterte das Barometer um knapp 4 Prozent auf 3.422 Punkte empor. Von diesen Kursgewinnen war Ende des Monats nichts mehr zu sehen, der Index endete in etwa beim Ausgangswert.

Die harten Fakten malen tatsächlich ein düsteres Konjunkturbild. So brach der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe im März unerwartet auf 47,6 Punkte ein. Damit wurde das niedrigste Niveau seit dem Frühjahr 2013 markiert. Versöhnlichere Töne sendete der Dienstleistungssektor, dieser Index gab nur geringfügig von 52,8 auf 52,7 Punkte nach. Für die hauseigenen Ökonomen reicht das allerdings nicht aus, um in Begeisterung auszubrechen. Im Gegenteil: Anders als die EZB, die für dieses Jahr von einen BIP-Wachstum in Höhe von 1,1 Prozent ausgeht, rechnet die Commerzbank für die Eurozone nur noch mit einem Plus von 0,9 Prozent. Unter anderem der deutliche Rückgang der Frühindikatoren sowie eine sich langsamer als gedacht erholende Autoproduktion sorgen bei den Volkswirten für eine zunehmende Vorsicht. Sie erwarten auch nicht, dass die EZB ihre Leitzinsen im kommenden Jahr erhöhen wird.

Grafik 1: EURO STOXX 50 – KGV-Entwicklung

EURO STOXX 50: Kurs-Gewinn-Verhältnis (forward, 12-month)

Gemischte Gewinnerwartungen
Zurück zu den Autos: Hier zeigte zuletzt BMW, wie ernst die Lage ist. Der deutsche Premiumhersteller gab auf der Bilanzpressekonferenz bekannt, dass der Gewinn auch dieses Jahr sinken wird. Damit ist die Marke mit dem weiss-blauen Emblem aber nicht alleine, nach Analystenschätzungen trifft dies auch auf zehn weitere Mitglieder des EURO STOXX 50 zu, die aus unterschiedlichsten Branchen stammen. So werden den Luxusgüterherstellern EssilorLuxottica und Kering, dem Baustoffhersteller CRH oder auch dem Geldinstitut BBVA sinkende Erträge prophezeit. Allerdings lässt sich auch ein positives Beispiel finden: Die finnische Nokia ist auf Turnaroudkurs und rechnet für 2019 und 2020 wieder mit steigenden Ergebnissen. Die zunehmenden Investitionen in die Netzausrüstung aufgrund des neuen Mobilfunkstandards 5G spielen den Finnen in die Hände.

In Summe geht der Konsens für den EURO STOXX 50 von einem anhaltend positiven Gewinntrend im Jahr 2019 aus. Insgesamt wird ein Plus von 7,4 Prozent erwartet, beim breiter gefassten STOXX Europe 600 ist es sogar ein Prozentpunkt mehr. Die Erwartungen liegen damit deutlich über anderen Industrieregionen wie den USA oder Japan. Von daher ist die Gefahr gross, dass die Gewinne noch nach unten revidiert werden.

Vor diesem Hintergrund erscheint die aktuelle Bewertung des EURO STOXX 50 ambitioniert. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt mit 13,7 nicht nur deutlich über der erwarteten Gewinnwachstumsrate, sondern auch oberhalb des 10-Jahres-Durchschnitts. Das Gleiche gilt für das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das über die Substanz der 50 Mitglieder Auskunft gibt. Das KBV weist derzeit einen Wert von 1,64 auf und befindet sich damit klar oberhalb des langfristigen Mittels. In der letzten wirtschaftlichen Stagnationsphase in der Eurozone 2012 bewegte sich die Kennziffer lediglich zwischen 1,1 und 1,3.

Grafik 2: EURO STOXX 50 – KBV-Entwicklung

EURO STOXX 50: Kurs-Gewinn-Verhältnis (forward, 12-month)

Unsicherheitsfaktor Europawahl
Neben dem von den USA angefachten Handelskrieg sowie dem weiterhin ungelösten Brexit kommt auf Europa in den kommenden Wochen noch ein weiterer Risikofaktor hinzu: die Wahl des Europäischen Parlaments Ende Mai. Dabei könnten die EU-kritischen Parteien, wie von vielen in Brüssel befürchtet, spürbar zulegen. Dies wiederum würde die Entscheidungsfindung schwieriger machen und die Handlungsfähigkeit des Parlaments einschränken. Alles in allem spricht die aktuelle Lage dafür, dass Anleger in Europa vorerst weiter nur auf Sicht fahren können.

Grafik 3: Gewinnentwicklung EURO STOXX 50/STOXX Europe 600/Welt