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Bewertung von Warrants: Der Mythos von Black-Scholes

Warrants waren die ersten verbrieften Derivate, die Ende der Achtzigerjahre auf dem Schweizer Retailmarkt emittiert wurden. Deren Anzahl ist die vergangenen Jahrzehnte stark gewachsen, sodass derzeit kumuliert über 18.000 Warrants an der Schweizer und Berner Börse gelistet sind. Hinzu kommen über 40.000 ausserbörslich handelbare Warrants auf der Handelsplattform Swiss DOTS.

Mit geringem Kapitaleinsatz können Anleger sowohl an steigenden (mit einem Call Warrant) als auch an fallenden Kursen (mit einem Put Warrant) überproportional partizipieren. Auch wenn der hohe Hebel lockt, winkt andererseits das Risiko überproportionaler Verluste (bis hin zum Totalverlust), falls die Erwartungen nicht eintreten. Der Anleger erwirbt bei Kauf eines Warrants das Recht, während der Laufzeit oder am Laufzeitende einen Differenzbetrag zu erhalten, der der positiven Differenz aus Basiswertkurs und einem vorher definierten Preis (Basispreis) entspricht (Call Warrant) oder der Differenz aus Basispreis und Basiswertkurs (Put Warrant).

Die Frage, die sich immer wieder stellt, lautet: Wie errechnet sich der Kapitaleinsatz – also der Preis – eines Standard-Warrants (auch Plain-Vanilla-Warrant genannt)? Diese Fragestellung beschäftigt seit mehr als einem halben Jahrhundert die Wirtschaftswissenschaftler. Im Jahr 1973 wurde in der Zeitschrift »Journal of Political Economy« ein Beitrag von Fischer Black und Myron Scholes unter dem Titel »The Pricing of Options and Corporate Liabilities« publiziert. Dieser Artikel bedeutete einen Meilenstein in der Warrantbewertung, da sich mit dem vorgestellten Modell bzw. mit dessen Formel (die aus der Physik, genauer der Thermodynamik, stammt) theoretische Warrantpreise für Finanzinstrumente mit einer vorher definierten Laufzeit ausrechnen lassen. Umgehend wurde die Formel auf dem Markt »angenommen«, was das Wachstum des Warrantmarkts beschleunigte. Davon hat insbesondere die Chicago Board of Options Exchange (CBOE) profitiert, die erste Börse für gelistete Optionen, die bereits im gleichen Jahr gegründet wurde.

Die ersten Optionen wurden schon Anfang des 17. Jahrhunderts in Holland gehandelt, diese dienten zunächst als Absicherung gegen eine schlechte Tulpenernte oder dazu, die Profite der Ernte abzusichern.

Im 18. Jahrhundert kamen die ersten Optionen auf den US-amerikanischen Markt. Diese Optionen wurden ausschliesslich »over-the-counter« (ausserbörslich) gehandelt, wobei die Broker und Dealer für den jeweiligen Käufer einen passenden Verkäufer zu finden versuchten (und umgekehrt). Der Preis für jede einzelne Option musste immer individuell verhandelt werden. Somit ist klar, dass die Publikation des Black-Scholes-Modells eine Revolution bedeutete. Auch wenn dieses Modell zur Bewertung von Finanzoptionen meistens als Black-Scholes referenziert wird, heisst es vollständig Black-Scholes-Merton-Modell, da Robert C. Merton ebenfalls an der Ausarbeitung beteiligt war. Allerdings hat Merton 1973 (gleichzeitig mit Black und Scholes) einen eigenen Artikel unter dem Titel »Theory of Rational Option Pricing« im »Bell Journal of Economics and Management Science« publiziert. Im Jahr 1997 wurden Robert Merton und Myron Scholes »für ihre Ausarbeitung einer mathematischen Formel zur Bestimmung von Optionswerten an der Börse« mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Fischer Black war bereits zwei Jahre zuvor verstorben.

Das Black-Scholes-Merton-Modell weist einige Schwächen auf. Im Modell wird die Volatilität (Schwankungsbreite) des Basiswerts als konstant angenommen. In der Praxis ist dies nicht der Fall, da diese sich mehrfach am Tag ändern kann und jede Option (abhängig von Basispreis und Laufzeit) in der Regel eine unterschiedliche Volatilität hat (bekannt als Volatilitäts-Smile). Das Modell nimmt auch an, dass die Rendite des zugrunde liegenden Basiswerts normalverteilt ist, und es gilt ausschliesslich für europäische Optionen bzw. Warrants, das heisst diejenigen, die nur am Laufzeitende ausgeübt werden können. Insbesondere Warrants auf Aktien sind von der Ausübungsart her meistens amerikanisch, das heisst, sie können während der gesamten Laufzeit ausgeübt werden.

Trotz einiger Schwächen (die empirisch mehrfach nachgewiesen wurden) wird die Black-Scholes-Formel in der Praxis oft angewendet. Insbesondere ihre Eigenschaften und Sensitivitätskennzahlen (wie Delta, Vega und Theta) werden ständig verwendet. Diese sind nicht nur im Risikomanagement von grosser Bedeutung, sondern insbesondere auch für die Investoren, die aktiv handeln. Mehr Informationen zu diesen Kennzahlen finden Sie unter dem Menüpunkt Optionsscheine & Optionstheorie in unserem Wissensarchiv unter: www.ideas-magazin.de/informationen/wissen/

Black-Scholes-Merton-Formel für die Berechnung einer Call Option

Legende:
Aktie = Preis des Basiswerts heute
Strike = Basispreis der Call Option
Volatilität = die Volatilität des Basiswerts (wird im Modell als konstant angenommen)
Zeit = Zeitspanne bis zur Fälligkeit der Option in Jahren
Zins = der risikolose Marktzins

Ausserdem:
N() = die kumulative Standardnormalverteilungsfunktion
e = die sogenannte Euler’sche Konstante
ln() = die natürliche Logarithmusfunktion