Analysen

Mid Caps: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste

Im Rekordtempo eilen die Kurse der heimischen Mid Caps nach dem jüngsten Corona-Crash nach oben. Viele Investoren scheinen die Viruskrise bereits abgehakt zu haben. In der Folge ist die Bewertung des Marktes inzwischen über das Vorkrisenniveau hinausgeklettert. Etwas Achtsamkeit könnte daher in naher Zukunft nicht schaden. Denn sowohl ökonomisch als auch von Seiten der Unternehmen drohen in den kommenden Monaten weiter schwache Daten. Temporäre Kursrücksetzer sind also nicht ausgeschlossen.

Mehr als 99 Prozent aller Gesellschaften zählen hierzulande zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Kein Wunder also, dass diese Spezies gerne als »systemrelevant« charakterisiert wird. In der momentanen Coronakrise leiden die KMUs besonders stark, sodass der Bund und die Kantone bereits unterschiedliche Sicherheitsnetze aufgespannt haben.

Ein Blick auf die jüngste Quartalssaison zeigt das Leid der KMUs ungeschminkt auf. So brachen beispielsweise Umsatz und Auftragseingang der Industriegruppe Bucher wegen der Covid-19-Pandemie im ersten Quartal um mehr als ein Zehntel ein. Noch schlimmer erwischte es den Flughafen Zürich, der im März bei den Passagierzahlen ein Minus von 63,2 Prozent und im April von 99 Prozent zu beklagen hatte.

Ungeachtet dieser Krisensituation marschieren am Aktienmarkt die Kurse stramm nach oben. Nach dem massiven Ausverkauf im Februar/März, bei dem der SMIM von rund 2.800 auf unter 2.000 Punkte tauchte und damit mehr als ein Drittel seines Werts einbüsste, drehten die Mid Caps steil nach oben. Mit einem Zuwachs von knapp einem Viertel schnitt der SMIM seit dem Verlaufstief Mitte März sogar deutlich besser ab als der grosse Bruder. Damit setzt die zweite Börsenliga ihre langjährige Outperformance gegenüber den Blue Chips weiter fort. Auf Sicht von zehn Jahren entwickelte sich der SMIM um rund 35 Prozentpunkte besser als der SMI.

Grafik 1: SMI versus SMIM — Kurs-Gewinn-Verhältnis

(forward, 12 month) 

Die höchsten Avancen innerhalb des Mid-Cap-Index in diesem Jahr weisen die Papiere von Logitech auf. Der Hersteller von Computerzubehör zählt zu den sogenannten Pandemie-Profiteuren. Im Ende März abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielte das Unternehmen mit Sitz in Apples Rekordergebnisse. Vor allem im Schlussviertel gab Logitech Gas, laut CEO Bracken Darrell hat das Virus vor allem die Verkäufe von Homeoffice-Zubehör wie Webcams angekurbelt.

Ein positives Quintett
Logitech ist aber nicht der einzige SMIM-Titel, der dieses Jahr trotz des Corona-Crashs seit Jahresbeginn im Plus notiert. Mit Sunrise, EMS-Chemie, BB Biotech und Lindt befinden sich noch vier weitere Mid Caps im positiven Bereich. Die Beteiligungsgesellschaft BB Biotech profitiert vor allem von der lukrativen Suche nach geeigneten Medikamenten oder Impfstoffen gegen die neuartige Atemwegserkrankung. Im Portfolio ist beispielsweise der US-Highflyer Moderna mit einer Beteiligungsgrösse von 4 Prozent zu finden. Das Unternehmen zählt zu den grössten Hoffnungsträgern bei der Entwicklung eines Covid-19-Impstoffs. Der Aktienkurs der US-Biotech-Schmiede hat sich seit Mitte März mehr als verdreifacht.

Grafik 2: Dividendenrendite SMIM

(trailing, 12 month)

Bei EMS-Chemie wiederum klingeln eigentlich derzeit die Alarmglocken: Produktionskürzungen, Kurzarbeit sowie ein Umsatz- und Gewinneinbruch kennzeichnen die momentane Lage des Spezialchemiekonzerns. Der Aktienkurs kennt aber trotzdem kein Halten und nimmt sogar das Allzeithoch bei 712,50 Schweizer Franken aus dem Jahr 2017 ins Visier. Für Kursfantasie in den Titel sorgen Zusatzgeschäfte wie zum Beispiel Corona-Test-Röhrchen, Schutzbrillen oder auch Beatmungsmasken und -geräte.

Die rote Laterne im laufenden Jahr trägt Dufry, die Aktie büsste seit Silvester nahezu drei Viertel ihrer Kapitalisierung ein. Bei genauer Betrachtung des Geschäftsmodells der Basler wundert dies allerdings nicht: Das Unternehmen ist weltweit führend bei Duty-Free-Läden an Flughäfen. Da allerdings wegen des Virus weltweit wochenlang keine Airlines mehr abheben konnten, ist das Geschäft von Dufry quasi zum Erliegen gekommen. Konzernchef Julian Diaz gab Mitte Mai bekannt, dass er sich auf verschiedene Szenarien mit einem Umsatzrückgang von 40 bis 70 Prozent für das Gesamtjahr vorbereitet.

Grafik 3: SMIM versus SMI

Paradoxon
Ebenso wie viele Unternehmen scheint auch das Gros der Investoren derzeit von der Hoffung zu leben. Anders ist die v-förmige Erholung vieler Aktienkurse nicht zu erklären. Die ökonomischen Aussichten sind nämlich alles andere als euphorisch. So rechnet das Konjunkturanalysezentrum Créa der Universität Lausanne für das laufende Jahr mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 8,2 Prozent. Dessen ungeachtet ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis bereits über das Vorkrisenniveau gestiegen. Zurzeit werden für den SMIM die 24,9-fachen der für die kommenden zwölf Monate erwarteten Gewinne bezahlt. Der Wert liegt mehr als ein Drittel über dem 10-Jahres-Durchschnitt. Zwar liegt die Kennziffer auch beim SMI oberhalb des historischen Mittelwerts, allerdings beträgt der Abstand »nur« rund 17 Prozent.

Grafik 4: Tops und Flops im SMIM 2020

(Wertentwicklung in Prozent seit Anfang 2020)

Ob die Hochstimmung an der Börse so einfach weiter anhalten wird, darf bezweifelt werden. Die nächsten Wirtschafts- und Unternehmenszahlen könnten dafür sorgen, dass so mancher Anleger wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommt. Selektive Chancen sind aber trotzdem möglich, denn wie aufgezeigt hält der SMIM eine Vielzahl interessanter Unternehmen mit einzigartigen Geschäftsmodellen parat.