Zeitgeist

Gaming – Wenn die Grenzen verschmelzen

In Coronazeiten haben besonders viele Menschen Videospiele als Zeitvertreib für sich entdeckt. Nicht nur bei Hardwareherstellern, Spieleentwicklern und Plattformbetreibern lässt der Boom die Kasse klingeln – auch die Gaming-Profis können sich die Hände reiben.

Auf den ersten Blick ist diese Szenerie nicht besonders spektakulär: Ein 29-Jähriger mit türkisblau gefärbten Haaren sitzt samt Kopfhörer an seinem Gaming-PC. Doch sobald Tyler »Ninja« Blevins den Bildschirm auf ein Onlineportal überträgt, sind Hunderttausende dabei. Sie sehen dem US-Amerikaner dabei zu, wie er als Ego-Shooter in den virtuellen Kampf zieht, und überfluten seine Seite mit Kommentaren. Während Blevins auf YouTube mehr als 24 Millionen Abonnenten zählt, folgen ihm auf Twitch 16,5 Millionen Nutzer. Auf der zweitgenannten, von Amazon betriebenen Plattform ist der Gamer gross und wohl auch reich geworden. Er zog die Massen mit dem Onlinespiel Fortnite in seinen Bann. 2019 heuerte Blevins beim Microsoft-Service Mixer an. Doch trotz des prominenten Zugpferds brachte der Softwareriese sein Portal nicht wie erhofft zum Laufen und stellte es im vergangenen Juli ein. Ninja kehrte wenig später auf Twitch zurück.

Höher, schneller, weiter
Dort zählt er mehr denn je zu den Superstars einer Community, die in Coronazeiten einen enormen Zustrom erlebte. »Weltweit mehr als drei Milliarden Menschen spielen Games – zum Spass, als Zeitvertreib und um mit anderen in Verbindung zu treten«, stellte Microsoft im vergangenen Herbst fest. Entsprechend wächst der hinter dieser Bewegung stehende Wirtschaftszweig: Laut Zahlen des Portals WePC könnte der globale Gaming-Markt 2023 die Schallmauer von 200 Milliarden US-Dollar knacken. Geht diese Prognose auf, würden sich die Umsätze innerhalb von fünf Jahren um knapp zwei Drittel ausdehnen.

Der Mixer-Flop änderte nichts daran, dass Microsoft zu den bekanntesten Protagonisten in diesem Markt zählt. Ende 2020 haben die Kalifornier die Xbox Series X/S lanciert. Praktisch zeitgleich brachte Sony die PlaySation 5 auf den Markt. Zwar gingen viele Gamer wegen des knappen Angebots zunächst leer aus. Doch mit den neuen Generationen ihrer Konsolen haben die beiden Technologieriesen dem Sektor einen weiteren Innovationsschub verpasst. Insbesondere dank noch schnellerer Ladezeiten und einer höheren Auflösung nähert sich das Spieleerlebnis der Realität zusehends an. Mit der Hardware entwickeln sich die Inhalte weiter. Sei es der Action-Titel »Call of Duty« von Activision Blizzard oder der aus der Feder von Electronic Arts stammende Fussballklassiker »Fifa« – mehrere Blockbuster stehen bereits für die neue Konsolen-Generation zur Verfügung.

Turnier der Superlative
Nicht nur am Bildschirm verschmilzt die Animation zusehends mit der Realität. Zu einem greifbaren Massenphänomen entwickelt sich auch der E-Sport. Auf Turnieren oder in eigenen Ligen treten die Gamer gegeneinander an. Traditionsreiche Fussballclubs – darunter der FC Basel oder Bayern München – haben diesen Trend genauso für sich entdeckt wie auf den E-Sport fokussierte Teams. Als ein Turnier der Superlative entpuppte sich der Fortnite World Cup 2019. Mehr als 40 Millionen Spieler nahmen an dem von Epic Games, dem Entwickler des Shooter-Blockbusters, ausgetragenen Wettkampf teil. Am dreitägigen Finalturnier in New York waren 19.000 Zuschauer vor Ort – die Übertragung auf YouTube und Twitch verfolgten in der Spitze 2,3 Millionen Menschen. Als Sieger setzte sich Kyle »Bugha« Giersdorf durch. Der heute 18-jährige US-Gamer strich ein Preisgeld von 3 Millionen US-Dollar ein.

Übrigens: Tyler Blevins war bei dem Turnier in der Qualifikation gescheitert. Aus finanzieller Sicht wird die Fortnite-Ikone diese Niederlage locker verkraftet haben. Schliesslich geht der Aktionsradius von Ninja weit über das Videospiel hinaus. Wegen seiner enormen Prominenz und Reichweite ist er längst auch bei den Werbetreibenden gefragt. Unter anderem setzt adidas mit einer eigenen Kollektion auf den extravaganten Influencer. Dementsprechend dürfte ein aktueller Tweet von Blevins den Sportartikelhersteller gefreut haben. Anfang des Jahres wurde seine Stimme zum ersten Mal für die Hauptrolle in einem TV-Format aufgezeichnet. Auch wenn Ninja zunächst keine Details nannte, seine Twitter-Meldung könnte eine Art Startschuss für den Vormarsch des Gaming-Superstars in Richtung Hollywood gewesen sein.