Analysen

Schweizer Franken: Der Sonne entgegen

Im Jahr 2020 war der Schweizer Franken als sicherer Währungshafen gefragt. Doch 2021 sieht unser globales makroökonomisches Weltbild ganz anders aus. Auch wenn im ersten Quartal 2021 noch coronabedingte Lockdowns und Konsumzurückhaltung dominieren, erwarten unsere Makroökonomen ab dem ersten Quartal 2021 einen Boom, insbesondere in Europa, wo Konsumenten die in Coronazeiten angehäuften Ersparnisse zumindest teilweise für mehr Konsum nutzen werden. Das dürfte der »Hafen-Nachfrage« nach dem Schweizer Franken ein Ende bereiten und den Aufwertungsdruck verschwinden lassen. Wir sehen daher Aufwärtspotenzial für den Wechselkurs Euro/Schweizer Franken.

Der Schweizer Franken ist »sicherer Hafen« im Währungsuniversum, das heisst, er kommt unter Aufwertungsdruck, wenn am Devisenmarkt Angst und Bangen dominieren, und er gibt nach, wenn eitel Sonnenschein herrscht. Das war schon immer so. Und 2020 war ein prima Beispiel für dieses Marktverhalten. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) konnte einen Absturz des Wechselkurses Euro/Schweizer Franken unter die Marke von 1,05 nur verhindern, indem sie kräftig am Devisenmarkt intervenierte, das heisst Schweizer Franken verkaufte und Devisenreserven anhäufte (was an den zeitweilig deutlich steigenden Sichteinlagen der Schweizer Geschäftsbanken bei der SNB ablesbar ist, siehe Grafik 1). Offensichtlich suchten FX-Händler in den Phasen hoher corona-bedingter Unsicherheit wieder die Sicherheit der Schweizer Währung.

Grafik 1: Sichteinlagen der heimischen Geschäftsbanken bei der SNB

Der »sichere Hafen« wird 2021 weniger gefragt sein
Entsprechend konnten schon die ersten Meldungen über frühe Erfolge in der Corona-Impfstoff-Forschung dem Wechselkurs Euro/Schweizer Franken kräftig Auftrieb verleihen. Doch ist damit das »Risk on«-Potenzial des Wechselkurses meiner Einschätzung nach noch nicht erschöpft. Wenn das Euroraum-BIP (wie von uns prognostiziert) im zweiten und dritten Quartal 2021 mit Raten um 3 Prozent gegenüber dem Vorquartal zulegt, wird sich die Angst davor verflüchtigen, die EZB könnte gezwungen sein, zur Stützung der Realwirtschaft dramatische expansive Schritte (inklusive Zinssenkungen) zu ergreifen.

Nun ist der Schweizer Franken besonders für diejenigen »sicherer Hafen«, die in unsicheren Zeiten ein Substitut für den Euro suchen. Wovor schützt der Schweizer Franken jemanden, der in solchen Zeiten aus dem Euro flüchtet?

Zum einen vor euroraumspezifischen systemischen Risiken. Das sahen wir in der Euroraumkrise 2010 bis 2012: Der Wechselkurs Euro/Schweizer Franken stürzte von Niveaus um 1,48 nahezu auf Parität ab und konnte nur durch die Einführung der 1,20-Grenze wieder stabilisiert werden. Im Frühjahr 2020, als niemand wusste, wie schlimm Corona werden würde, mag das das Hauptmotiv für die Stärke des Schweizer Franken gewesen sein.

Daneben schützt der Schweizer Franken aber auch vor einem anderen eurospezifischen Risiko: einer weiteren euroschädlichen Lockerung der EZB-Geldpolitik. »Euroschädlich« wäre vor allem eine Zinssenkung. Mehr EZB-QE (expansive Geldpolitik) hingegen schadet dem Euro nicht, solange die zusätzliche Liquidität vor allem in Überschussliquidität der Geschäftsbanken und in Vorsichtsgeldhaltung der Nichtbanken versickert (also nicht inflationär wirkt). EZB-Zinssenkungen wurden im Jahresverlauf 2020 immer mal wieder vermutet (und in Geldmarktderivaten eingepreist). Auch das hat den Wechselkurs Euro/Schweizer Franken belastet.

Für dieses Jahr ist zum einen absehbar, dass Reste systemischer Coronarisiken abnehmen, jetzt, wo die Impfungen angelaufen sind. Und auch bei der Zinspolitik dürfte etwas Entspannung einsetzen. Denn es wird zunehmend wahrscheinlich, dass für die EZB das Niveau von –0,5 Prozent de facto die effektive Untergrenze für den Einlagensatz darstellt – auch wenn EZB-Offizielle gerne das Gegenteil behaupten. Aber welcher Zentralbanker gibt schon gerne zu, dass sein Zinsinstrument ausgeschöpft ist? Nicht jede Zentralbank ist so offen wie die SNB, die seit langem nicht mehr anzudeuten versucht, dass weitere Zinssenkungen möglich seien. Geglaubt hatte ihr am Schluss eh niemand mehr …

All das spricht 2021 für einen schwächeren Schweizer Franken. Allerdings bleiben wir mit unserer Prognose (siehe Tabelle 1) vorsichtig. Denn so ganz dürften die Sorgen vor einer EZB-Zinssenkung nicht verschwinden. Die EZB hat etwas gegen einen zu starken Euro. Daran hat sie auf ihrer geldpolitischen Sitzung im Januar erinnert, als EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf doch recht deutliche Art (die eigentlich der EZB nicht zusteht) verbal gegen eine weitere Euro-Aufwertung intervenierte. Die EZB achtet freilich vor allem auf den Euro/US-Dollar-Kurs, nicht auf den Kurs des Euro/Schweizer Franken. Unserer Prognose nach wird die EZB nicht zur Zinskeule greifen müssen. Dennoch: Um den Markt auch weiter von einer zu schnellen Euro-Aufwertung abzuhalten, wird die EZB die Drohung aufrechterhalten. Inhaltlich wird sie das damit begründen können, dass auch im von uns erwarteten Post-Corona-Boom die Inflation im Euroraum nicht anzieht (laut unseren Prognosen). Damit wird die »Hafen-Nachfrage« nach dem Schweizer Franken hinreichend hoch bleiben, um eine extreme Franken-Schwäche zu verhindern.

Tabelle 1: Prognosen Schweizer-Franken-Wechselkurse (Quartalsendstände)

Kurs

Jun 21

Sep 21

Dez 21

Mrz 22

Jun 22

Sep 22

Dez 22

EUR/CHF

1,09

1,10

1,12

1,12

1,13

1,13

1,14

USD/CHF

0,92

0,91

0,91

0,90

0,90

0,89

0,89

Stand: 11. Februar 2021; Quelle: Commerzbank Research
Prognosen sind kein Indikator für die künftige Entwicklung.

Heimische Konjunktur: prominent ignoriert
In einer grossen deutschen Wochenzeitung gibt es die Rubrik »Prominent ignoriert«, in der Nachrichten angeführt werden, über die explizit nicht näher berichtet wird. In diese Kategorie fallen beim Schweizer-Franken-Ausblick lokale Wirtschaftsentwicklungen. Wegen seines »Hafen-Status« handelt der Schweizer Franken kaum im Hinblick auf heimische Konjunkturdaten. Das ist halt die Krux einer »Hafen-Währung«: Der Markt schert sich nicht darum, ob der Wechselkurs zur heimischen Konjunkturlage passt.

Lediglich der Zins ist relevant (und damit natürlich auch: die Inflationsentwicklung). Hier ist aber im Prognosehorizont nichts zu erwarten. Die von unseren Ökonomen prognostizierte Inflationsentwicklung wird auf absehbare Zeit keine restriktive SNB-Zinspolitik rechtfertigen und damit auch kein Ende und keine Lockerung der Negativzins-Politik.