Zeitgeist

Massenphänomen Sammelkarten

Seit den Neunzigern lassen Sammelkartenspiele das Herz der Glücksritter schneller schlagen. Inzwischen geht sogar der Puls der Investoren hoch, wenn von Pokémon & Co. die Rede ist. Viele mit Fantasiewesen bedruckte Papiere sind nämlich zu einer echten Wertanlage geworden.

Vor genau einem Vierteljahrhundert erblickten digitale Taschenmonster auf der anderen Seite des Erdballs das Licht der Welt: Pokémons. Dass der japanische Videospieldesigner Satoshi Tajiri mit seinen Kreaturen Pikachu, Bisasam oder auch Shiggy ein Massenphänomen über Jahrzehnte hinweg auslösen würde, konnte damals niemand ahnen.

Happy Birthday
Pünktlich zum Jubiläum scheint der Hype um die zum Teil niedlichen wie auch furchterregenden Geschöpfe, die längst das Kinderzimmer verlassen haben und in der Erwachsenenwelt angekommen sind, atemberaubende Züge anzunehmen. Für Hunderttausende von Dollars wechseln derzeit Pokémon-Spielkarten die Besitzer. Dem nicht genug: Um die Fantasiewesen auch gebührend zum Jahrestag zu feiern, wird im Herbst dieses Jahres sogar ein »Pokémon 25«-Album erscheinen mit Songs unter anderem von Katy Perry, J Balvin und Post Malone. Darüber hinaus hat sich Pokémon mit McDonald’s zusammengeschlossen und ein 25-Karten-Set in limitierter Auflage für das »Happy Meal« entworfen. Der Run auf die Essensbox ist mancherorts so hoch, dass sie an einigen Standorten bereits ausverkauft sind.

Doch der Reihe nach: Ein Geheimnis des durchschlagenden Erfolgs der Kreaturen dürfte sein, dass sie die Spieler virtuell wie auch real miteinander verbinden. Es werden beispielsweise Pokémon-Karten getauscht oder auch in Arenen gegeneinander angetreten. Seit 2004 finden mit den Sammelkarten sogar internationale Pokémon-Weltmeisterschaften statt. Bei den Wettbewerben können Preise im Gesamtwert von mehr als einer halben Million US-Dollar abgeräumt werden. Da das Mega-Event coronabedingt derzeit nicht stattfinden kann, ist der nächste Wettkampf für 2022 angesetzt.

Milliardenumsätze
Begonnen hat der Welterfolg mit einem Videospiel für den Game Boy. Die zunächst nur in Japan veröffentlichten »Pocket Monster Grün« und »Pocket Monster Rot« gaben den Startschuss für den heutigen Kult. 2016 knüpfte mit »Pokémon Go« ein weiterer Blockbuster an. Das »Augmented Reality«-Game liess die reale mit der digitalen Welt verschmelzen und schuf dadurch ein komplett neues Spielvergnügen. Ziel ist es, die Monster in der echten Welt einzufangen oder sie in virtuellen Kämpfen gegeneinander antreten zu lassen. Allein im vergangenen Jahr generierte das Spiel einen Rekordumsatz von rund einer Milliarde US-Dollar.

Seit dem Start der App hat »Pokémon Go« bis dato sogar nahezu 4,2 Milliarden US-Dollar weltweit eingespielt. Nicht, weil die jedes Jahr millionenfach heruntergeladene App Geld kostet. Vielmehr gibt es jede Menge mögliche In-Game-Käufe, die die Spieler in der Pandemie verstärkt genutzt haben. Die Entwickler rund um die kleinen Wesen sind mit ihrer Fantasie aber längst nicht am Ende. Anfang 2022 steht der Launch des Open-World-Game »Legends: Arceus« an.

Unendliche Vielfalt
Pokémon gibt es als Spiele, Anime, Filme, Plüschtiere und wie bereits eingangs erwähnt auch als Karten. Um Letztere geht es derzeit besonders heiss her. Mit angefacht hat den Begeisterungssturm der YouTuber Logan Paul, der nicht nur rund 23 Millionen Follower auf seinem Kanal zählt, sondern auch bekannt ist für seinen guten Riecher auf der Suche nach dem nächsten grossen Trend. Ende Februar startete er seinen gross angekündigten »Pokémon-Pack-Opening«-Stream. Dabei konnten Fans im Vorfeld Packs ersteigern, die dann von Paul live geöffnet wurden. Ziel war es, eine seltene Holo-Karte zu erwischen. Jedes einzelne Booster-Pack war rund 40.000 US-Dollar wert.

Doch es geht noch deutlich teurer. Die nostalgischen Sammelkarten werden zurzeit in Auktionen zum Teil zu horrenden Summen versteigert. So hat der US-Rapper Logic eine sehr seltene Karte von Pokémon Charizard für 226.000 US-Dollar erworben. Der Grund für den hohen Preis liegt an dem fehlenden Schatten. Nur die erste Auflage der Serie wurde in diesem Design gedruckt. Der Wert hängt aber nicht nur von der Seltenheit, sondern auch vom Zustand der Karten ab. In diesem Zusammenhang kommt der sogenannte PSA-Wert ins Spiel, der von einer US-Bewertungsfirma ermittelt wird. Wer glaubt, dass Rapper Logic bereits die Spitze des Hypes markiert, irrt: Im Auktionshaus »Heritage Auctions« wurde jüngst ein ungeöffneter Satz von Pokémon-Karten der ersten Auflage zu einem Rekordpreis von 408.000 US-Dollar verkauft.

Die Suche nach teuren Raritäten hört bei Pokémon längst nicht auf. Laut dem Online-Auktionshaus eBay verzeichnete Pokémon im vergangenen Jahr zwar ein stolzes Wachstum von 83 Prozent, der Umsatz mit allen Sammelkartenspielen legte jedoch um 206 Prozent zu. Auch bei anderen Karten schiessen die Preise nach oben und sechsstellige Verkaufspreise sind kein Einzelfall. So kam die wertvollste »Magic:The Gathering«-Karte, die eine seltene schwarze Lotus zeigt, Anfang des Jahres für 511.100 US-Dollar unter den Hammer. Das ist mehr als das Fünffache des Preises, den die Karte im Jahr 2018 erzielt hatte. »Magic:The Gathering« ist ebenfalls ein Kartenspiel aus den Neunzigerjahren, das gar als Urvater der Sammelkartenspiele gilt. Die Begeisterung liess über die Jahre ebenso wenig nach wie bei Pokémon. Und nachdem die Minderjährigen von damals heute geschäftsfähig geworden sind, sind sie mehr denn je wirtschaftlich relevant – sei es als Verkäufer als auch als Investor.