Analysen

Eurozone: Währungsunion setzt zum Konter an

Nachdem der EURO STOXX 50 im April zum ersten Mal seit 2008 die 4.000-Punkte-Marke überwunden hatte, geriet die Rally ins Stocken. Die anziehende Inflation bremste die Bullen aus. Anleger sollten den Willen der EZB, die Währungsunion zurück auf den Wachstumspfad zu führen, nicht unterschätzen.

Das Timing ist perfekt: Am 10. Juni 2021 (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) und damit genau einen Tag vor dem Beginn der Fussball-Europameisterschaft (EM) kommt der EZB-Rat zur nächsten Sitzung zusammen. Möglicherweise eröffnet das Entscheidungsgremium dann eine interne Tipprunde für das Turnier – 10 der 19 Euro-Mitgliedsländer nehmen an der EM teil. Wobei sich der Rat nicht zu lange mit dem runden Leder beschäftigen dürfte. Schliesslich steckt die EZB in einer prekären Situation. Sie versucht, die Eurozone mit einer ultralockeren Geldpolitik aus dem Corona-Tief zu führen. Neuerdings müssen sich die Währungshüter hierbei mit einem länger nicht gesehenen Phänomen beschäftigen: Die Preise ziehen an. Für den April meldete Eurostat eine jährliche Inflationsrate von 1,6 Prozent – der höchste Wert seit zwei Jahren (siehe Grafik 1).

Grafik 1: Die Preise ziehen an

Inflationsrate Euroraum, jährliche Entwicklung

Gelassene Währungshüter
Noch bewegt sich die Teuerung unterhalb des von der EZB angepeilten Niveaus von »unter, aber nahe 2 Prozent«. Vor allem die Rally an den Rohstoffmärkten (siehe Titelthema) könnte darauf hindeuten, dass der Preisauftrieb anhält. Deutschland hat die Notenbank-Schwelle mit einer Inflationsrate von 2,1 Prozent bereits im April übertroffen. Nach Ansicht von EZB-Direktorin Isabel Schnabel könnte die Teuerung in der grössten Volkswirtschaft Europas sogar auf mehr als 3 Prozent klettern. Gleichwohl sieht das Mitglied des sechsköpfigen Führungsgremiums darin noch keinen Grund, gegenzusteuern. In einem Interview betonte Schnabel, dass die Politik der EZB mittelfristig ausgerichtet ist. »Und das bedeutet, dass wir durch all diese kurzfristigen Schwankungen hindurchschauen«, so die Notenbankerin. Erst wenn die Inflation zu galoppieren beginnen würde, müsste die EZB laut Schnabel graduell einlenken. Momentan würde sich ein solches Szenario aber »wirklich überhaupt nicht« abzeichnen.

Gleichwohl warten die Märkte gespannt darauf, ob und in welchem Umfang die EZB ihre Projektionen anpasst. Im März hatten die Ökonomen für 2021 eine Teuerungsrate von 1,5 Prozent vorausgesagt, gefolgt von 1,2 Prozent im kommenden Jahr. Ein heisses Thema dürften am bevorstehenden Treffen auch die Anleihekäufe sein. Der Rat möchte am 10. Juni das Tempo dieser als »PEPP« (Pandemic Emergency Purchase Programme) bezeichneten Massnahme für das kommende Vierteljahr festlegen. Das Programm ist auf insgesamt 1,85 Billionen Euro ausgelegt und soll noch mindestens bis Ende März 2022 laufen. Rund 1 Billion Euro des gesteckten Rahmens hat die EZB bereits in Staatsanleihen, Unternehmensobligationen und andere Papiere investiert.

Nervösere Börsianer
Wenige Wochen vor der mit Spannung erwarteten Sitzung beteuerte auch die Chefin der Europäischen Zentralbank die expansive Gangart. »Was die EZB betrifft, stehen wir zu unserem Bekenntnis, Europas Wirtschaft zu schützen«, sagte Christine Lagarde am 18. Mai in Frankfurt. Allerdings gibt es im Rat auch erste Stimmen, die sich im Zuge der Konjunkturerholung für eine allmähliche Drosselung von PEPP aussprechen. Natürlich lässt die Diskussion um die Teuerung und ein mögliches Abflauen der EZB-Geldflut die Aktienmärkte nicht kalt. Mitte April hat der EURO STOXX 50 einen beachtlichen Durchbruch geschafft. Die Benchmark mit den 50 grössten Börsenunternehmen der Eurozone notierte zum ersten Mal seit mehr als 13 Jahren über der Marke von 4.000 Punkten. Doch seit diesem Hoch kommt der Index, unter teilweise heftigen Schwankungen, per Saldo nicht mehr voran (siehe Grafik 2).

Grafik 2: Konsolidierung auf hohem Niveau

Wertentwicklung des EURO STOXX 50

Zeit der Sektorrotation
Ein Blick auf die Performance der im EURO STOXX 50 enthaltenen Aktien im bisherigen Jahresverlauf (siehe Grafik 3) macht einen gewissen Favoritenwechsel deutlich. Unter den Top 5 stehen drei Bankaktien. Der Finanzsektor gilt als ein Profiteur steigender Zinsen. Dazu passt, dass die Rendite der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe seit Silvester 2020 um nahezu 50 Basispunkte auf zuletzt minus 0,09 Prozent angezogen hat. Mit Vonovia trägt ein Immobilienkonzern die rote Laterne. Zwar fällt die Bilanz des deutschen Wohnungskonzerns besonders schwach aus, doch der gesamte europäische Sektor hinkte dem breiten Markt zuletzt hinterher – hier entpuppen sich wohl die nicht mehr ganz so günstigen Finanzierungsbedingungen als ein Bremsklotz.

Grafik 3: Banken an der Spitze

Top- und Flop-Performer im EURO STOXX 50 (Wertentwicklung 2021)

Schwer angesagt sind die Zykliker. Neben Top-5-Mitglied Volkswagen zählen weitere Vertreter dieser Aktiengattung, wie beispielsweise der Industriekonzern Siemens, der Logistiker Deutsche Post oder das irische Baustoffunternehmen CRH zu den Outperformern im Eurozone-Leitindex. Was zeigt, dass die Investoren auf das Ende der Coronapandemie und den damit einhergehenden Aufschwung in Europa und der Welt setzen. Dabei nehmen sie eine vergleichsweise hohe Bewertung in Kauf. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den EURO STOXX 50 bewegt sich deutlich über dem historischen Mittelwert (siehe Grafik 4).

Grafik 4: Qualität hat ihren Preis

Kurs-Gewinn-Verhältnis EURO STOXX 50 (Forward, 12 Monate)

Der mögliche »Extra-Kick«
Gleichwohl zeigt der Index einen Bewertungsabschlag von rund einem Fünftel zum US-Leitbarometer S&P 500. Was auch daran liegt, dass die Eurozone-Aktien der Wall Street seit Jahren weit hinterherlaufen. Immerhin konnte der EURO STOXX 50 in den ersten fünf Monaten 2021 etwas Boden gutmachen. Für eine längere Aufholjagd spricht neben der Bewertung der unbedingte Wille der EZB, die Wirtschaft der Eurozone möglichst schnell auf das Vorkrisenniveau zu hieven. Für einen »Extra-Kick« könnte die Fussball-EM sorgen. Das Turnier findet exakt zu einer Zeit statt, in der Europa die Corona-Fesseln langsam ablegt. Seien es Trikots, ein neuer Fernseher, Bier und Chips oder gar die Reise zum Spielort: An Gelegenheiten, den Konsum hochzufahren, sollte es in den kommenden Wochen europaweit nicht mangeln.