Zeitgeist

Waldbaden – Ein Naturerlebnis der besonderen Art

Der bewusste Aufenthalt im Wald kann Körper und Seele stärken. Immer mehr Menschen entdecken die Heilkraft der Bäume für sich und gönnen sich alleine oder in geführten Gruppen ein Bad in der Natur.

Der Begriff »Bad« kann die unterschiedlichsten Assoziationen wecken. Menschen verbinden damit die alltägliche Körperpflege und Reinigung in der Wanne genauso wie den Sprung in Schwimmbecken, Seen, Flüsse und Meere oder eine Wellnessanwendung mit Dampf und Schaum. Nur die wenigsten dürften dagegen an Bäume, Vogelgezwitscher, laub- und moosbedeckte Böden, faszinierende Lichtspiele oder eine superfrische, mit speziellen Düften versetzte Luft denken. In etwa so sieht die Rezeptur für ein »Waldbad« aus. Als Geburtsort für diese spezielle Form der Reinigung von Körper und Seele gilt die japanische Region Nagano. Der dort angesiedelte »Akawasa« gilt als einer der schönsten Wälder Japans. Bereits 1970 wurde das Gebiet zum »Erholungswald« erklärt. Während das »Shinrin Yoku«, zu Deutsch »Baden in der Waldluft«, in Japan längst fester Bestandteil der ganzheitlichen Gesundheitsvorsorge ist, entdecken auch in der westlichen Hemisphäre immer mehr Menschen diese Anwendung für sich.

Genuss für alle Sinne
Wissenschaftliche Belege für die Heilkraft des Waldes liefert Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio. Schon als Medizinstudent entdeckte er 1988 diese Heilmethode für sich. Mittlerweile hat der promovierte Mediziner die positive Wirkung des Waldbadens in mehreren Studien nachgewiesen. Unter anderem schickte er Hunderte Probanden auf Spaziergänge. Die eine Hälfte machte sich auf in den Wald, während die zweite Gruppe in der Stadt unterwegs war. Anschliessend wurde das Blut der Teilnehmer analysiert. Seine intensive Forschungsarbeit hat Qing Li zu der Überzeugung gebracht, dass sich das Wohlbefinden des Menschen verbessert, sobald er sich zwischen Bäumen und Pflanzen bewegt. »Der Wald hat die Kraft, Krankheiten zu verhindern«, bringt der Mediziner sein Credo in einem YouTube-Video auf den Punkt. Shinrin Yoku spricht nach seiner Überzeugung alle fünf Sinne an. Dazu zählt das bewusste Berühren von Bäumen und Bächen genauso wie der spezielle aromatische Duft in der Nase, das Vogelkonzert für die Ohren oder die Wahrnehmung von sattem Grün.

Qing Li hat auch festgestellt, dass ein Waldbad die Stimmung aufhellt. »Die Wirkung zeigt sich bereits nach zwei Stunden«, berichtet der Wissenschaftler. Wer sich für einen ganzen Tag in einen Shinrin-Yoku-tauglichen Wald begibt, ist eine Woche lang besser drauf. Bei einer regelmässigen monatlichen Anwendung hält der Effekt noch länger. »Das kann den Stress reduzieren und stärkt das Immunsystem«, weiss der Experte, der Stress als Ursache sämtlicher Krankheiten erachtet. Daher liessen sich auch viele Zivilisationsleiden durch das Waldbaden vermeiden. Qing Li nennt in dem 2021 publizierten Video konkrete Beispiele: »Shinrin Yoku senkt den Blutdruck sowie die Pulsfrequenz und bessert depressive Symptome.«

Zurückzuführen sind diese Wirkungen auf die Tatsache, dass ein Waldbad hilft, Cortisol, Adrenalin sowie Noradrenalin abzubauen. Diese Hormone gelten als Krankmacher, sie begünstigen unter anderem Bluthochdruck, Kopfschmerzen und Herzrasen. Die Forscher der Nippon Medical School haben bei den »Waldgängern« zudem eine erhöhte Konzentration an DHEA-Hormonen festgestellt. Diese schützen Herz, Kreislauf und Zellen. Eine weitere Erkenntnis: Im Wald schüttet der Mensch vermehrt Terpene aus. Auf diese Weise werden die Zellen vor freien Radikalen geschützt, was wiederum das Krebsrisiko senkt.

Angebote in der Schweiz
Qing Li treibt die Forschung weiter voran und ist von der Zukunft des Waldbadens überzeugt. Als eigene Behandlungsmethode könnte es seiner Meinung nach helfen, den Medikamentenbedarf von Patienten mit Hypertonie oder Depressionen zu reduzieren. Allerdings spielt dabei die Art und Weise des Naturaufenthalts eine wichtige Rolle. Qing Li rät zu einem langsamen und bewussten Gehen. »Geniessen sie alles, was der Wald bietet«, empfiehlt er ausserdem. Natürlich müssen Gesundheitsbewusste und Erholungssuchende nicht nach Fernost reisen – nahezu ein Drittel der Schweiz ist von Wald bedeckt.

Die Stadt Baden nutzt ihre günstige geografische Lage und spannt den Bogen vom mineralreichen Thermalwasser zum Wald. Schon im frühen 19. Jahrhundert haben Ärzte im Aargau den positiven Einfluss von Flora und Fauna erkannt und für die Gäste »Terrain- Kuren« angeordnet. 1837 war die Baldegg ein Zielort für solche Spaziergänge. Heute zählt die in diesem Naherholungsgebiet stattfindende Führung »WaldBaden« zum Programm der Stadt. »Unsere Guides zeigen euch geheimnisvolle Routen durchs Grüne und weihen euch in die Geheimnisse des ›Shinrin Yoku‹ ein«, beschreibt das lokale Forstamt dieses Angebot. Mehr zu der zweistündigen Tour finden Interessierte im Internet unter dein.baden.ch. Voller Informationen zum Waldbaden ist die Website achtsamkeitimwald.ch. Sie wurde von Zoë Daniela Lorek erstellt, der Leiterin des Waldbaden Instituts Schweiz. Zum Programm des 2019 gegründeten Portals zählen Schnupperkurse, Wochenenden im Wald, Auslandsreisen sowie die Weiterbildung von Shinrin-Yoku-Kursleitern.