Zeitgeist

Weltraumtourismus: Aufbruch in die Schwerelosigkeit

Nach vielen Verzögerungen hat Virgin Galactic den ersten kommerziellen Weltraumflug gestartet. Der kurze Trip in die Schwerelosigkeit könnte den Beginn eines neuen Reisezeitalters bedeuten.

Egal ob Zürich-Kloten, London-Heathrow, Paris-Charles-de-Gaulle oder Tokio-Haneda: Die Namen internationaler Airports haben im Gedächtnis der Vielflieger einen festen Platz. Dagegen dürfte die Bezeichnung »Spaceport America« nur den wenigsten Touristen bekannt sein. Dabei ist dieser Flugplatz alles andere als klein. Im Süden des US-Bundesstaates New Mexico erstreckt er sich über eine Fläche von knapp 70 Quadratkilometern. Neben dem Terminal zählen ein Hangar sowie die knapp 3.700 Meter lange Start- und Landebahn zu der in einer Wüstenlandschaft angesiedelten Infrastruktur.

Beim »Spaceport America« handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Flughafen. Vielmehr wurde er nach der Jahrtausendwende als erster kommerzieller Weltraumbahnhof erbaut. Seit 2008 nutzt Virgin Galactic die Anlage. Der Hauptmieter könnte dafür sorgen, dass »Spaceport America« schon bald mehr Menschen ein Begriff wird. Ende Juni hat das vom britischen Milliardär Richard Branson gegründete Unternehmen den ersten kommerziellen Weltraumflug durchgeführt. An der erfolgreichen Mission »Galactic 01« nahmen zwei Angehörige der italienischen Luftwaffe und ein Forscher aus Italien teil. Im August soll »Galactic 02« abheben. Anschliessend plant Virgin Galactic monatliche Trips mit Forschern und privaten Astronauten.

Ein spektakulärer Kurztrip
Das Unternehmen arbeitet mit einer Art »Doppeldecker«: Ein Transportflugzeug, VMS Eve, befördert das Raumschiff zunächst in eine Höhe von rund 13.700 Metern. Dort koppelt sich die VSS Unity mit zwei Piloten und bis zu sechs Passagieren ab. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu Mach 3 geht es senkrecht in eine Höhe von rund 80 Kilometern, wo die Astronauten für einige Minuten neben der Schwerelosigkeit einen faszinierenden Blick auf die Erde geniessen können. Vom Start des Trägerschiffs bis zur Landung in der VSS Unity vergehen gerade einmal 90 Minuten. Der Ticketpreis für diese kurze Reise ist stattlich: Pro Sitzplatz verlangt Virgin Galactic 450.000 US-Dollar.

Per Ende 2022 hatten 800 private Astronauten einen Flug gebucht und zusammen Anzahlungen in Höhe von mehr als 100 Millionen US-Dollar geleistet. Während Virgin Galactic dieses Geld gut gebrauchen konnte, mussten sich die Passagiere lange in Geduld üben. In den vergangenen Jahren erlebte das Weltraumunternehmen mehrere Rückschläge. Beim 22. Flug der VSS Unity war Richard Branson im Juli 2021 selbst mit an Bord. »Wir stehen an der Spitze eines neuen Weltraumzeitalters«, schwärmte der Visionär damals. Allerdings kam es bei der Rückkehr auf die Erde zu einer Abweichung vom zugewiesenen Luftraum. Daher verhängte die Aufsichtsbehörde U.S. Federal Aviation Administration (FAA) ein mehrmonatiges Startverbot. Die Coronapandemie hat die ambitionierten Pläne der US-Amerikaner weiter ausgebremst. Derweil liefen enorme Verluste auf: Allein in den vergangenen drei Geschäftsjahren hat Virgin Galactic ein operatives Minus von in Summe rund 1,1 Milliarden US-Dollar eingeflogen.

Eine exklusive Passagierliste
Insofern überrascht es nicht, dass der Weltraumspezialist an der Börse regelrecht abgestürzt ist: Wenige Monate vor dem Trip mit Unternehmensgründer Branson hatte die Aktie im Februar 2021 ein Allzeithoch von mehr als 60 US-Dollar erreicht. Zurzeit notiert sie nur noch bei rund 4,30 US-Dollar. Die Aussicht auf den Start des kommerziellen Flugbetriebs hatte das Papier zwar beflügelt, doch kurz vor und sogar während der Mission kam es zu Gewinnmitnahmen. Gleichwohl könnte das Unternehmen nun eine Zeitenwende erleben. Dasselbe gilt für den Weltraumtourismus als Ganzes. 2001 reiste der US-Unternehmer Dennis Tito als erster privater Astronaut zur Internationalen Raumstation ISS. Für den Flug in der russischen Sojus-Rakete soll er 20 Millionen US-Dollar bezahlt haben.

»Seitdem hat nur eine begrenzte Anzahl von Personen Tickets gekauft und erfolgreiche orbitale und suborbitale Missionen geflogen«, schreibt Virgin Galactic im Geschäftsbericht 2022. Dazu zählen die Kunden von Blue Origin. Die Weltraumfirma von Amazon-Gründer Jeff Bezos bot 2021 die ersten kommerziellen Space-Trips für 28 Millionen US-Dollar an. Flüge mit der US-Raumfahrtagentur NASA oder der von Tesla-CEO Elon Musk gegründeten Firma SpaceX kosten laut Virgin zwischen 50 und 75 Millionen US-Dollar pro Sitz.

Ein Wettlauf der Milliardäre
Nur wenige Tage nach Richard Branson hob Jeff Bezos am 21. Juli 2021 mit Blue Origin ab. Der Milliardär sprach nach der zehnminütigen Reise in das All vom »besten Tag aller Zeiten«. Elon Musk machte sich dagegen selbst noch nicht auf in die unendlichen Weiten. Dafür hat sein Unternehmen den bisher längsten und zudem weitesten privaten Weltraumflug durchgeführt. Im September 2021 beförderte die SpaceX-Trägerrakete Falcon vom Kennedy Space Center aus die Mission »Inspiration 4« nach oben. In der Crew-Dragon-Kapsel umkreiste der Gründer und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters Shift4 Payments, Jared Isaacman, zusammen mit drei weiteren Passagieren drei Tage lang die Erde.

Man darf gespannt sein, ob und wie Bezos und Musk auf die jüngste Entwicklung am »Spaceport America« reagieren. Virgin Galactic rechnet jedenfalls mit einem harten Wettbewerb. Den Weltraumtouristen dürfte das recht sein. Schliesslich belebt Konkurrenz das Geschäft und führt in der Regel zu sinkenden Preisen – hier liefert das Treiben an den klassischen Airports eine gute Blaupause.