Zeitgeist

Motor aus, Radio an und Film ab

Noch schnell ein Kopfkissen und eine Decke eingepackt, das Business-Outfit gegen die legere Jogginghose getauscht und schon kann der Kinobesuch unter freiem Himmel losgehen. Das Beste dabei: Platz genommen wird auf den eigenen bequemen Autositzen, die zudem auch noch die volle Privatsphäre garantieren. Spätestens jetzt weiss jeder Leser, wovon die Rede ist: Autokinos.

Hipper Zeitvertreib
In Zeiten von Corona erleben diese momentan eine Renaissance. Die Abstandsregelungen sorgen dafür, dass Outdoor-Kinos wieder zu ihrem ehemaligen Kultstatus zurückkehren. Aufgetaucht sind die ersten Autokinos in den 1930er-Jahren in den USA, wo sie in den 1950er- und 1960er-Jahren ihre Hochzeiten erlebten. Just zu dieser Zeit erreichte der Trend auch Europa, wo am 2. September 1957 die erste Open-Air-Freilichtbühne für Kraftwagen in Europa eröffnete. Das TV-Gerät, das in den darauffolgenden Jahrzehnten dann immer mehr Einzug in die Wohnzimmer fand, machte einer längerfristigen Erfolgsstory allerdings den Garaus.

Dabei haben Autokinos ein ganz besonderes Flair, sie sind sowohl für das Auge als auch für das Ohr ein Genuss. Neben dem Panoramablick auf die Leinwand wird der Ton in Dolby Surround über eine Radiofrequenz in jedes einzelne Fahrzeug gesendet. In der derzeitigen Pandemie entsinnen sich die Menschen wieder dieser aussergewöhnlichen Unterhaltung. So wurden allein in Deutschland seit Anfang März mehr als 60 Lizenzen für Radiofrequenzen für Autokinos von der Bundesnetzagentur vergeben. Vor der Viruskrise gab es dagegen nur ganz vereinzelt Anträge.

Die Schweiz zieht nach
Die Open-Air-Angebote für das automobile Publikum sollen auch hierzulande ein Revival erleben. Erste Aktionen laufen bereits. Schnell reagiert auf die Situation hat beispielsweise der 19-jährige Gymnasiast Mika Steinmann und stellte in Dietlikon ein Autokino auf die Beine. Zwischen dem 28. Mai und 14. Juni 2020 werden hier alte Kassenschlager wie »Pulp Fiction« oder »Footloose« gezeigt – und das zu fairen Preisen. Für ein Auto mit zwei Personen werden 40 Schweizer Franken berechnet.

Nostalgische Gefühle dürften auch bald in Pratteln wieder aufkommen. Das Cinema Drive-in ist anders als jenes von Steinmann keine »Idee der Krise«, sondern hat sich bereits seit Jahren bewährt. Die Saison ist dieses Jahr vom 3. bis 25. Juli geplant. Gezeigt werden insgesamt 13 Filmklassiker wie zum Beispiel »Spiel mir das Lied vom Tod«, »Taxi Driver« und »Manche mögen’s heiss«. Die Betreiber haben sich für ihre Anhänger dieses Jahr etwas ganz Besonderes ausgedacht: Neu werden alle Filme im Zweikanalton gezeigt. So kann jeder Gast individuell zwischen Deutsch und der Originalsprache des Streifens wählen.

Grünes Licht vom Bundesrat
Damit die Freiluftkinos auch über den nötigen rechtlichen Rahmen verfügen, hat der Bundesrat in seiner Sitzung vom 27. Mai gesorgt. Zwar gelten die Distanzregeln immer noch, allerdings wurde das generelle Veranstaltungsverbot gelockert. Ab dem 6. Juni können Events mit entsprechenden Schutzkonzepten wieder stattfinden. Für die Autokinos sollte das kein Problem sein, denn besser Abstand halten als durch geschlossene Autoscheiben ist kaum möglich. Die neuen Bestimmungen eröffnen nun auch weiteren potenziellen Filmvorführern Tür und Tor, wie beispielsweise Cédric Marthaler, der das Autokino im Berner Oberland Thun mitorganisiert. Geplant ist, dass zwischen dem 11. Juni und 11. Juli Klassiker wie »Top Gun« und »Zurück in die Zukunft« gezeigt werden. Das Autokino in Thun ist aber nicht neu, sondern feierte bereits im vergangenen Jahr im Stadion der Stadt Premiere. Laut Organisator parkten an guten Abenden 80 Autos vor der Leinwand.

Apropos Leinwand: Um dem Besucher eine einmalige Atmosphäre sowie ein ausgezeichnetes Kinoerlebnis zu ermöglichen, bedarf es eines leistungsstarken Equipments. Projektiert wird im Open-Air-Bereich auf verschiedenste Plattformen. Zum Einsatz kommen LED-Bildwände, aufblasbare Leinwände oder auch Hauswände wie zum Beispiel beim Autokino in Pratteln. Um das Bild sichtbar zu machen, werden leistungsstarke Projektoren benötigt, die das klassische Kinoformat wiedergeben können. Dabei kommen Beamer mit 20.000 Lumen zum Einsatz. Zum Vergleich: Ein Beamer für das heimische Wohnzimmer verfügt in etwa über 250 Lumen. Die Einheit Lumen steht einfach ausgedrückt für die Helligkeit, die das Bild des Projektors pro bestimmter Fläche erreichen kann.

Tipps für einen gelungenen Autokino-Abend
Damit man im Laufe der Nacht nicht zu frösteln beginnt, sollten Decken und Kissen eingepackt werden. Ein zusätzliches Tuch für die Scheibe kann ebenfalls nicht schaden, denn diese beschlagen gerne und trüben damit den Ausblick. Wichtig ist zudem, an Knabbergebäck und Getränke zu denken, da vor Ort oftmals nichts angeboten wird. Aber es gibt auch Ausnahmen: Sollten es die Hygienevorschriften zulassen, werden Besucher des Cinema Drive-in in  Pratteln kulinarisch von Rollschuh-Girls und Popcorn-Boys direkt am Auto verwöhnt.