Interview

Börsenhandel im Wandel

Interview mit André Buck, Global Head Sales, Securities & Exchanges, SIX

ideas: Herr Buck, im Juni hat die Schweizer Börse ein neues Preisvalidierungsmodell im Handel mit strukturierten Produkten eingeführt. Was hat es damit auf sich?
André Buck: Mit dem Preisvalidierungsmodell (Price Validation Market Model) haben wir eine signifikante Neuerung lanciert: Kann ein eingehender Auftrag gegen einen vom Market Maker gestellten Kurs ausgeführt werden oder umgekehrt, kommt es zu einem Handelsunterbruch von maximal einer Sekunde. Während dieses Unterbruchs können nun alle Parteien ihre Gebote nochmals validieren und gegebenenfalls aktualisieren, bevor sie nach dem Meistausführungsprinzip zusammengeführt werden. Um den Anlegerschutz zu gewährleisten, werden sämtliche Kursinformationen für die Dauer des Unterbruchs zurückgehalten und erst danach verteilt. Der Anleger wird diese technische Anpassung in der Orderausführung kaum bemerken. Der Market Maker erhält seinerseits eine grössere Sicherheit, die Ausführung zum aktuellsten Kurs zu tätigen.

Was hat SIX dazu bewogen, diese Anpassungen im bestehenden Handelsmodell vorzunehmen?
Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, dass die Liquiditätsgeber mehr und mehr durch die technologischen Entwicklungen benachteiligt werden und sie ihrer Arbeit mit dem Stellen der Kurse, bedingt durch die gestiegene Volatilität, nicht mehr korrekt nachkommen können. Zusammen mit dem Markt haben wir darum nach Lösungen gesucht, die den Börsenhandel für beide Seiten, Anlagekunden und Market Maker, fair und transparent gestalten. Der Handelsplatz soll diesen Rahmen bieten, was meines Erachtens nur bei einer regulierten Börse der Fall sein kann.

War eine solche Anpassung nicht überfällig?
Die Bedürfnisse des heutigen Börsenhandels haben sich in den vergangenen Jahren gewandelt, vom Investmentbanking mit Fokus auf Eigenhandel hin zum Bereitstellen von Anlagelösungen für die Buy-Side/Anlagekunden. Diese Transformation zieht sich durch die ganze Wertschöpfungskette hindurch, da ist auch der Handel mit strukturierten Produkten betroffen. Der moderne Emittent stellt seine Liquidität dort zu Verfügung, wo Nachfrage besteht, sei es bei Multi-Issuer-Plattformen (MIP) für Neuemissionen von Anlageprodukten oder Sekundärplattformen für den Handel von (mehrheitlich) Hebelprodukten. Diese Anpassung der Marktstruktur hat sich über Jahre entwickelt und wird weitergehen. Wir bieten einen Handelsplatz, der die momentanen Rahmenbedingungen mit einem fairen und transparenten Handel gewährleisten – zum Nutzen der Anleger.

Was für einen Mehrwert bietet das neue Preisvalidierungsmodell den Anlegern und was für Erwartungen haben Sie an das neue Handelsmodell?
Wir erwarten eine erhöhte Emissionstätigkeit vor allem im Bereich der Hebelprodukte, mit aktuelleren Serien von Ausübungspreisen und engeren Spreads. Dies wiederum ist zum Nutzen des Anlegers, denn dadurch erhält er eine grössere und attraktivere Auswahl an marktgerechten Produkten und kann so noch präziser sein Portfolio bewirtschaften.

Der Handel von strukturierten Produkten hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verlagert auf ausserbörsliche Plattformen. Dieser Trend ist nicht im Sinne der Börse. Was unternimmt SIX, um den Handel wieder vermehrt an die Schweizer Börse zurückzuführen?
Ich kann nachvollziehen, dass nicht jedes Produkt den gleichen Nutzen für den Handel an der Börse vorfindet; wie hinlänglich bekannt, werden deutlich mehr Produkte OTC, also ausserhalb der Börse emittiert. Die Ausgestaltung gewisser Produkte bevorzugt den Primärmarkt, womit sich der Handel an der Börse ergo nicht aufdrängt. Das Gleiche gilt bei Produkten, die nur an einzelne Kunden verkauft werden. Zusätzlich hat der Anlegerschutz nicht bei allen Parteien den gleichen Stellenwert. Der Anleger soll entscheiden, wo er die besten Bedingungen vorfindet, um fair und transparent den Handel von Finanzprodukten abzuwickeln. Insofern ergänzen sich beide Märkte bis zu einem gewissen Grad – und es liegt an uns, ein Umfeld zu schaffen, um möglichst viele Produkte auf unsere regulierte Handelsplattform zu bringen. Die Investitionen der vergangenen Jahre zeigen den Erfolg der eingeführten Massnahmen: Die Anzahl der gelisteten Produkte hat sich in den letzten Jahren eindeutig erhöht, mit jährlichen Wachstumsraten von über 5 Prozent. Und mit dem neuen Handelsmodell erwarten wir dieses Jahr sogar zweistellige Zuwachsraten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich die Anzahl der Produkte wie auch das gehandelte Volumen weiter positiv entwickeln werden.

Wie möchten Sie das Handelsmodell von strukturierten Produkten an der Börse in den kommenden Jahren weiterentwickeln?
Die Märkte wie auch die Kunden fordern uns immer wieder aufs Neue heraus. Die Schweizer Börse investiert stetig in Innovationen, um ihren Teilnehmern die beste und effizienteste Handelsplattform sowie neue Produkte und Services zu bieten. Die Einführung dieses neuen Handelsmodells ist ein weiterer Schritt in diese Richtung und bestätigt unsere kontinuierlichen Investitionen in das Segment für strukturierte Produkte. Weitere sind in Planung.

Warum wird es in 30 Jahren immer noch Börsen geben, und was wird deren Rolle sein?
Gerade die Marktturbulenzen der vergangenen Monate haben gezeigt, wie wichtig eine funktionierende, stabile Börse ist. Die Diskussionen über eine Abschaffung der Börse verkennt die Wichtigkeit von offenen Kapitalmärkten zur Sicherung der globalen wirtschaftlichen Stabilität. Nur eine neutrale Plattform kann allen Beteiligten eine faire und transparente Preisfindung gewährleisten – die wiederum die Basis ist, um Risikotransfers kosteneffizient abzuwickeln, sei es im Primärmarkt mittels IPOs oder im Sekundärmarkt.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Stocker.