Zeitgeist

Kaffee – Heissgetränk mit vielen Facetten

Kaffee ist viel mehr als ein Muntermacher. Röstereien und Baristi machen aus der braunen Bohne ein hochwertiges Genussmittel. In der Schweiz kommen Kaffee-Fans voll auf ihre Kosten.

Sei es der Cappuccino zum Frühstück, ein schneller Espresso nach dem Mittagessen, der Latte macchiato samt Kuchen am Nachmittag oder ein frisch gemahlener Filterkaffee am Abend – kaum ein Getränk ist im Alltag derart omnipräsent wie der Kaffee. In der Schweiz beträgt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch rund acht Kilogramm. Im Schnitt konsumiert jeder Einwohner damit pro Jahr mehr als 1.100 Tassen. »Damit gehören die Schweizerinnen und Schweizer im internationalen Vergleich mengenmässig zu den grossen Kaffeetrinkern« stellt procafé fest. Dieser Vereinigung für die Förderung des Kaffeekonsums haben sich mehr als 50 Mitglieder angeschlossen. Dazu zählt neben vielen kleinen und mittelständischen Betrieben auch Nestlé – beim Lebensmittelriesen ist das Kaffeegeschäft eine wichtige Säule der globalen Wachstumsstrategie.

Zurück in die Schweiz: Die im Inland verkonsumierte Kaffeemenge entspricht nur gut der Hälfte des – grösstenteils aus Südamerika – importierten Rohkaffees. Rund 65.500 Tonnen der braunen Bohne werden in der Schweiz jährlich veredelt und als löslicher, entkoffeinierter oder Röstkaffee wieder exportiert. Laut einer von procafé im Mai 2019 vorgelegten Analyse gibt es hierzulande 135 Röstereien. Dazu zählen auch einige industrielle Anlagen. »Mehr als die Hälfte der Röstereien sind Kleinbetriebe – Tendenz vor allem im Bereich der Mikroröstereien zunehmend«, erklärt die Interessengemeinschaft. Diese Entwicklung spricht dafür, dass die »Third Wave Coffee« längst in der Schweiz angekommen ist. Hinter diesem Anglizismus verbirgt sich, einfach ausgedrückt, die Mutation des Kaffees vom einfachen Muntermacher zum vielschichtigen und hochwertigen Genussmittel.

Eine spezielle Kunst
Eine zentrale Rolle spielt der Barista. Durchaus vergleichbar mit dem Wein-Sommelier kann dieser Profi seine Kundschaft über verschiedene Aspekte, beispielsweise Bohnensorte oder Röstverfahren, beraten. Gleichzeitig muss er in der Lage sein, unterschiedlichste Kaffees in Tassen oder Gläser zu zaubern, die eine »Latte Art« krönt. Dabei handelt es sich um die Gestaltung der Getränkeoberfläche mithilfe geschäumter Milch. Latte Art kennt die unterschiedlichsten Motive, wie beispielsweise Blüten, Blätter oder Herzen. Das Aufschäumen der Milch spielt hierbei eine zentrale Rolle und ist gewissermassen eine Kunst für sich.

Bei einer Weltmeisterschaft suchen die Kaffeeprofis Jahr für Jahr die Besten ihres Fachs. Die World Coffee Championships (WCC) werden in drei Kategorien ausgetragen. In der Wertung »Barista« haben die Teilnehmenden eine Viertelstunde Zeit, um jeweils vier Espressi, Milchgetränke und Drinks mit einer Signatur zu erstellen. Die »World Cup Tasters Championship« erfordert das möglichst schnelle und präzise Unterscheiden und Erkennen der Geschmacksrichtungen spezieller Kaffeesorten. Die dritte Wertung, der »Brewers Cup«, ging 2021 in die Schweiz. Matt Winton tischte der Jury an dem Event in Mailand den besten Filterkaffee auf. Der Weltmeister mit australischen und schwedischen Wurzeln ist fester Bestandteil der Schweizer Kaffeekult-Szene. In der »Collective Bakery» in Züri-West sorgt Winton mit seinem Team für Espresso, Filterkaffee und Latte Art.

Von der Bohne bis zur Tasse
Wie gross der Kult um die Bohne ist, zeigt auch der Erfolg der »Kaffeemacher:innen«. Das Basler Unternehmen deckt die Faszination Kaffee in seiner ganzen Vielfalt ab. Seit 2017 ist die Firma Co-Inhaber einer Farm im Norden Nicaraguas und erntet dort eigene Bohnen. In Münchenstein betreiben die Kaffeemacher eine Rösterei sowie eine Akademie. Das umfangreiche Kursprogramm umfasst Rösten und Latte Art genauso wie Sensorik, Barista und Filterkaffee. Regen Zulauf hat auch der YouTube-Kanal der Basler: Mehr als 60.000 Abonnenten verfolgen das Videoangebot.

Das Team um Co-Gründer und Geschäftsführer Benjamin Hohlmann möchte von der Bohne bis zur Tasse für gute Bedingungen sorgen. Generell spielen in diesem Geschäft neben der Qualität soziale und ökologische Aspekte eine immer wichtigere Rolle. »80 Prozent des Kaffees wird von 25 Millionen Kleinbauernfamilien produziert, die weniger als zehn Hektar Land besitzen«, steht auf der Internetseite von Fairtrade Max Havelaar Switzerland zu lesen. 2022 feiert diese Non-Profit-Organisation ihren 30. Geburtstag. Sie hat sich der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Kleinbauern und Arbeitern in wirtschaftlich benachteiligten Regionen des Südens verschrieben.

Was mit Kaffee und Bananen begann, umfasst heute alleine in der Schweiz mehr als 3.000 Produkte, die strenge Standards hinsichtlich Anbau, Arbeiterrechten, Verarbeitung und Handel erfüllen. 13 Prozent des im Detailhandel abgesetzten Kaffees trugen 2020 das Fairtrade-Siegel. Mit rund 7,2 Tonnen hat sich das Absatzvolumen seit dem Gründungsjahr der Organisation in etwa versiebenfacht. Die allgemeine Begeisterung für das Heissgetränk spricht zusammen mit dem wachsenden Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewusstsein dafür, dass diese Quote weiter nach oben geht.