Zeitgeist
Auf die Piste, fertig, los!
Der Klimawandel macht die Schneekanone zur lebensnotwendigen Infrastruktur für die Bergbahnen. Trotz der damit einhergehenden Kosten laufen die Geschäfte in den höher gelegenen Skiressorts besser denn je.
Geht alles glatt, dann erlebt der alpine Ski-Weltcup am 11. November 2023 eine Premiere. Um 11.30 Uhr soll sich der erste Athlet aus dem auf 3.800 Metern gelegenen Starthaus in die »Gran Becca« stürzen. Die 3,7 Kilometer lange Abfahrt führt grösstenteils über Gletscher vor einer atemberaubenden Alpenkulisse – inklusive Matterhorn. Nach dem Start auf Schweizer Territorium geht die rasante Fahrt auf bis zu 60 Prozent Gefälle nach Italien. Das Ziel liegt auf knapp 2.800 Metern Seehöhe am Laghi Cime Bianche in Cervinia. Es wird der zweite Anlauf sein, die neue Strecke in den Weltcupkalender aufzunehmen. Vor einem Jahr scheiterte die Premiere. Es war selbst in diesen Höhen zu warm, um genügend Schnee zu produzieren.
Schnee im Depot
Knapp drei Wochen vor dem neuen Versuch gab der Winter ein erstes Stelldichein – oberhalb von 2.200 bis 2.600 Metern lag Neuschnee. Die Organisatoren der Doppelabfahrten – sieben Tage nach den Männern gehen die Frauen an den Start – gaben sich schon zuvor optimistisch. »Wir sind organisatorisch bereit und davon überzeugt, dass die Piste Ende Oktober für die Schneekontrolle bereit ist«, erklärte OK-Chef Franz Julen gegenüber dem SRF. Einerseits stimmte ihn der spätere Renntermin zuversichtlich. Gegenüber 2022 wurden die Speed-Bewerbe um zwei Wochen nach hinten verschoben. Ausserdem haben die Veranstalter ihre Reserven an dem weissen Kristall ausgebaut. »Letztes Jahr hatten wir zwei Schnee-Depots, heuer sind es fünf«, berichtete Julen. Auch ein von der Walliser Baukommission ausgesprochenes Nutzungsverbot für einen Teil der Weltcup-Installationen konnte die Zuversicht der Verantwortlichen nicht stoppen. Eine Korrektur sei möglich, ohne die Streckenführung zu beeinträchtigen.
Auf jeden Fall zeigt das Beispiel, wie stark der Wintersport vom Klimawandel betroffen ist. Selbst wenn es gelingen sollte, die Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf 1,5 Grad zu begrenzen, droht vielen Pisten das Aus. Annähernd ein Drittel der europäischen Skigebiete wären dann gefährdet. Mit dem Einsatz von Schneekanonen könnte die Ausfallquote auf 14 bis 26 Prozent gedrückt werden. Sollte sich das Klima um 2,0 Grad erwärmen, droht der Hälfte aller Ressorts auf dem alten Kontinent akuter Schneemangel – daran könnte auch eine Beschneiung nichts mehr ändern. Diese Erkenntnisse haben Forscher vom Centre National de Recherches Météorologiques in Grenoble vor kurzem publiziert.
Fit für die Zukunft
Der Verwaltungsrat der Sattel-Hochstuckli AG hatte schon vorher reagiert. Mitte des Jahres kündigte er eine Neupositionierung an. Künftig möchten sich die Zentralschweizer auf Wintersporteinsteiger und Angebote ohne Schnee fokussieren. Zwei Skilifte werden nicht mehr laufen. Das Management begründet die Entscheidung unter anderem mit der prekären Schneelage des vergangenen Winters, veränderten Bedürfnissen der Hauptzielgruppe sowie dem Klimawandel. Schon jetzt erzielen die Bergbahnen um den 1.600 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Hochstuckli den Grossteil ihrer Umsätze im Sommer. Dennoch ist das Unternehmen in die roten Zahlen gerutscht. Unterm Strich stand für 2022/2023 (per 31. März) ein Minus von 163.000 Schweizer Franken. »Der schneearme Winter beeinflusste das Geschäftsergebnis entscheidend«, erklärt der Verwaltungsrat im Geschäftsbericht.
Derweil fuhr die Zermatt Bergbahnen AG in der Periode 2022/2023 (per 31. Mai) Rekordzahlen ein: Mit 88,07 Millionen Schweizer Franken übertraf der Betriebsertrag den Vorjahreswert um knapp 7 Prozent. Gut 70 Prozent der Erlöse erwirtschaftete das Unternehmen im Winter. Trotz des allgemeinen Kostendrucks konnte Zermatt die Marge halten. 55 Prozent der Erträge blieben im operativen Ergebnis (Stufe Ebitda) hängen. Selbst dieses hochalpine Ressort ist zwingend auf die Schneekanone angewiesen. »Ohne technische Beschneiung wäre wie bereits im Vorjahreswinter ein Skibetrieb während der gesamten Saison unmöglich gewesen«, erklärt CEO Markus Hasler im Geschäftsbericht.
Boom auf zwei Rädern
Eine ähnliche Tonart schlagen die Verantwortlichen der Lenzerheide Bergbahnen (LBB) AG an. In den kommenden zehn Jahren möchte das grösste zusammenhängende Skigebiet Graubündens insgesamt 90 Millionen Schweizer Franken investieren. Ein Drittel davon soll in die Schneemaschinen sowie die Wasserverfügbarkeit fliessen. Passend zu dieser Strategie ist auf dem Cover des Geschäftsberichts der LBB AG eine Schneekanone in Betrieb zu sehen. Auf Seite 2 steht ein Bild des Mountain Bike World Cups. Damit bringt das Unternehmen den Anspruch zum Ausdruck, neben den Wintersportfans auch den Bikefans ein Paradies zu bieten.
Mit dem sich über Arosa, Lenzerheide und Chur erstreckenden »Bike Kingdom«, dem grössten zusammenhängenden Bike-Gebiet der Schweiz, greifen die Graubündner einen Boom ab: Immer mehr vor allem junge Sportler begeistern sich für rasante Downhill-Abfahrten über Trails mit gefährlichen Sprüngen, Gaps und Steilkurven. Obwohl die Geschäfte auch im Sommer florieren, bleibt das Unternehmen von der kalten Jahreszeit abhängig. »Eine Bergbahn unserer Grösse und Lage ist alternativlos auf den Winter angewiesen und es führt kein Weg an schwergewichtigen Investitionen in das Winterangebot vorbei«, macht Verwaltungsratspräsident Felix Frei im Geschäftsbericht der LBB AG deutlich.
Übrigens erlebt auch Lenzerheide bald eine Premiere: Vom 14. bis 17. Dezember 2023 findet in der Roland Arena von Lantsch/Lenz der erste Biathlon-Weltcup auf Schweizer Boden statt. Schon im November sollen die Athleten in der Anlage trainieren können. Neben einer »Snowfactory«, die selbst bei Plusgraden winzige Eiskristalle versprüht, setzten die Organisatoren auf das »Snowfarming«. Dabei wurde Schnee aus dem vergangenen Winter mit einer Holzschnitzelschicht sowie einem Spezialflies bedeckt und über den Sommer konserviert.