Zeitgeist

Formel 1: Die neue Lust auf High-Speed

Noch vor wenigen Jahren kriselte die wichtigste Rennsportserie der Welt, jetzt boomt sie mehr denn je. Am Comeback der Formel 1 ist neben Organisatoren, Teams und Fahrern auch der weltgrösste Streamingdienst nicht ganz unbeteiligt.

Mit dem ersten Training beginnt am 21. Oktober 2022 ein weiteres Formel-1-Wochenende der Superlative. Die Rennsportserie macht dann in Austin im US-Bundesstaat Texas Halt. Im vergangenen Jahr sprengte der auf dem rund 5,5 Kilometer langen »Circuit of The Americas« ausgetragene Grosse Preis der USA alle Rekorde: Insgesamt 400.000 Besucher waren über das Wochenende verteilt vor Ort – nie zuvor hatte ein dreitägiger Formel-1-Anlass so viel Publikum angezogen. »Wir sehen jetzt eine grosse Begeisterung bei den amerikanischen Fans«, freute sich Ross Brawn, sportlicher Direkter der Formel 1. Nach seiner Ansicht galt die Rennserie in den Staaten jahrelang als ein Kult-Hobby. »Jetzt kennen die Fans die Fahrer, sie kennen die Persönlichkeiten, sie kennen die Feinheiten der Formel 1«, schwärmte der Brite.

Netflix zündet den Turbo
In der Tat galt die Aufmerksamkeit der Amerikaner lange Zeit vor allem den berühmt-berüchtigten Ovalkursen der Nascar-Serie oder der IndyCar-Meisterschaft. Doch diese Zeiten sind vorbei. Nach Miami und Austin zieht ab der nächsten Saison Las Vegas als dritter US-Veranstalter in den Formel-1-Kalender ein. Dass die PS-starken Boliden plötzlich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten angesagt sind, hat auch mit Netflix zu tun. Mit »Drive to Survive« liefert der Streaminganbieter seit 2019 einen Blick hinter die Kulissen des Motorsportspektakels. Die aktuelle vierte Staffel der Serie schaffte es nach ihrer Veröffentlichung in 56 Ländern in die wöchentlichen Top 10 von Netflix. Der Streamingkrösus hat sich mit der Formel 1 bereits auf die Produktion von zwei weiteren Staffeln verständigt.

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Zuschauer und TV-Anstalten abwendeten. Exemplarisch für die jüngste Krise des Sports stand Deutschland. Nach der Jahrtausendwende hatte Ferrari-Pilot und Serien-Weltmeister Michael Schumacher die Bundesrepublik in Euphorie versetzt. Sein Landsmann Sebastian Vettel triumphierte ab 2010 mit Red Bull-Renault viermal nacheinander, dennoch liess die Begeisterung zu dieser Zeit bereits nach. Als sich 2015 mit Nico Rosberg (Mercedes) noch einmal ein Deutscher die Fahrerwertung sichern konnte, galt die Formel 1 schon als langweilig. Ein Grund waren Regeländerungen. Sie hatten dazu geführt, dass die Boliden weniger laut und langsamer ihre Runden drehten.

Milliardenschwerer Eigentümerwechsel
Die 1950 gestartete Rennserie hat sich wieder einmal neu erfunden und dabei auf Austragungsorte wie Aserbaidschan, Saudi-Arabien oder zuletzt Miami gesetzt. Eine Rolle spielte bei der Metamorphose auch ein Eigentümerwechsel: Anfang 2017 hat Liberty Media die Formel 1 übernommen. Beim Kauf durch den US-Unterhaltungsriesen wurde die Rennserie mit insgesamt 8 Milliarden US-Dollar bewertet. Davon entfielen 4,1 Milliarden US-Dollar auf Schulden. Den Alteigentümer CVC Capital Partners bezahlte Liberty mit gut 3 Milliarden US-Dollar in bar, eigenen Anteilsscheinen sowie wandelbaren Schuldtiteln aus. Unter der Firmierung »Liberty Formula One« ist das Motorsportunternehmen heute an der US-Technologiebörse Nasdaq kotiert.

Ein Blick in den Geschäftsbericht macht die finanzielle Schlagkraft der Formel 1 deutlich: Nach einer coronabedingten Delle fuhr die Serie 2021 einen Umsatz von 2,136 Milliarden US-Dollar ein – annähernd ein Fünftel mehr als 2017, dem ersten Jahr unter dem Liberty-Dach. 40 Prozent der Erlöse kommen aus der Vermarktung der Übertragungsrechte. Annähernd ein weiteres Drittel wirft das Segment »Race Promotion« ab. Dahinter verbergen sich die Zahlungen der Veranstalter. Sie erhalten im Gegenzug für in der Regel drei bis sieben Jahre das Recht, ein Rennen auszutragen und zu vermarkten. Eine weitere wichtige Einnahmequelle der Formel 1 sind mit einem Umsatzanteil von zuletzt 16 Prozent die Sponsoren.

Gut 1 Milliarde US-Dollar oder knapp die Hälfte der Umsätze haben im vergangenen Jahr die beteiligten Teams eingestrichen. Vom grössten Kostenblock der Rennserie werden also auch die Fahrer bezahlt, die wiederum als Werbeträger für die beteiligten Autohersteller oder andere Konsummarken begehrt sind. Nicht nur mit spannenden Rennen und spektakulären Fahrmanövern erreichen die Piloten Kultstatus, längst arbeiten sie auch über die sozialen Medien an ihrem Ruhm. Lewis Hamilton ragt heraus. Der extravagante Brite und siebenfache Weltmeister zählt auf Instagram annähernd 30 Millionen Follower. Sein niederländischer Rivale und amtierender Titelträger Max Verstappen kommt nur auf knapp ein Drittel dieser Anhängerschaft.

2021 wurde die Weltmeisterschaft zwischen den beiden Superstars erst auf der letzten Runde des finalen Rennens in Abu Dhabi entschieden. In der laufenden Saison tat sich Hamilton im Mercedes lange Zeit schwer, weshalb Verstappen auf dem besten Weg ist, den Titel zu verteidigen.

Langeweile droht der Formel 1 dennoch nicht. Auf der Strecke spricht dafür unter anderem Hamiltons Ehrgeiz, Boden gutzumachen, oder der Kampf um die Teamwertung zwischen Favorit Red Bull, Ferrari und Mercedes. Gespannt warten die Fans auch drauf, ob demnächst neue Automarken in der Formel 1 Einzug halten. Als ernsthafte Interessenten gelten Porsche und Audi.